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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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Unterschied zwischen richtig und falsch? Ich an deiner Stelle würde mich vor Scham verkriechen. Aber wahrscheinlich kennst du solche Gefühle gar nicht, du bist ja nicht mal ein Mensch.«
    Ich höre ein empörtes Lachen. Es ist mein eigenes. Ich will ja geduldig sein und einen würdevollen Abgang hinlegen, aber die hämische Bemerkung, ich sei nicht einmal ein Mensch, kostet mich die Beherrschung.
    »Ich bin nicht freiwillig hergekommen«, sage ich wütend. »Ich wollte das alles nicht. Aber ich konnte mir nicht aussuchen, was ich sein will oder was ich tun will. Noch nie! Ich bin nicht hier, weil ich hier sein will, und habe auch nicht Amarra gespielt, weil mir das Spaß macht. Ich musste kommen. Ich hatte keine andere Wahl!«
    Eine Gestalt rennt über den Sportplatz auf uns zu. Es ist Lekha. Ich merke erst jetzt, dass sie die ganze Zeit gefehlt hat.
    Bevor jemand auf meinen Ausbruch reagieren kann, verkündet sie mit ihrer hohen, klaren Stimme: »Die Lehrer kommen gleich und sie lynchen uns, wenn wir uns bis dahin noch nicht warmgelaufen haben.«
    »Das interessiert uns gerade nicht«, fährt Sonya sie an.
    »Reg dich nicht auf«, erklärt Lekha freundlich. »Du brauchst die Puste gleich noch zum Laufen.«
    Ich muss lächeln, so seltsam es mir in diesem Moment auch vorkommt.
    Alle stehen da wie unter Schock und sind empört. Ray gibt einen dumpfen, kehligen Laut von sich wie ein verwundetes Tier und marschiert davon. Jaya beginnt zu weinen. Ich will sie trösten, aber wie sollte ich das, wenn sie doch nur ihre beste Freundin zurückwill? Die Versuchung, zu gehen und nie wieder zurückzukehren, ist riesengroß. Aber ich erliege ihr nicht. Sie sollen mich beschimpfen, so viel sie wollen, aber »Feigling« werden sie mich nicht nennen können.
    Irgendwie überstehe ich den Tag. Und den nächsten und den übernächsten. Im Lauf der Woche wird alles noch schlimmer. Die feindseligen Bemerkungen steigern sich, aus »Lügnerin« und »Diebin« werden Beleidigungen, die dem unnatürlichen Monster gelten, das ich bin. Echos sind in diesem Land verboten, deshalb basiert alles, was meine Mitschülerinnen über mich zu wissen glauben, auf Gerüchten und einer auf Panikmache zielenden Berichterstattung. Ich bin zwischen Schuldgefühlen und Empörung hin und her gerissen. Ich weiß, dass die anderen mit Recht wütend sind und dass sie um Amarra trauern, aber wie lange soll ich dafür büßen?
    Die Polizei dagegen greift nicht ein. Was immer die anderen von mir halten, niemand hat sie benachrichtigt. Noch nicht.
    Ich habe das Gefühl, dass einige es gern tun würden, zum Beispiel Sam und Sonya. Aber Ray wird ihnen erklärt haben, was das für Amarras Familie bedeuten würde. Deshalb haben sie beschlossen zu schweigen. Sie haben begriffen, dass sie nicht nur mich bestrafen würden. Wenigstens darüber bin ich froh.
    Am Wochenende verkrieche ich mich in meinem Zimmer und konzentriere mich auf Hausarbeiten.
    Für Geografie lese ich drei langweilige Kapitel, für Geschichte fasse ich den Inhalt eines Tagebuchs aus dem Zweiten Weltkrieg zusammen. Für das Schreibseminar in Englisch bearbeite ich das Märchen vom Mungo und der Schlange. Für Mathematik rechne ich zwei Seiten mit Aufgaben aus der Analysis. Außerdem lese ich für Literatur einige Kapitel aus Sturmhöhe und den letzten Akt von Macbeth .
    Am Montag fahre ich ganz normal zur Schule. Die feindseligen Gesichter und die beleidigenden Bemerkungen über mein Mal und mein gestohlenes Gesicht versuche ich zu ignorieren.
    Ich schaffe es zwar bis zur Schule, aber nicht bis ins Klassenzimmer.
    Ich will auf dem Weg noch etwas trinken, da läutet die Glocke und alles eilt zu den Klassenräumen. Zu spät merke ich, dass Schüler hinter mir sind. Ich werde umgestoßen und knalle mit voller Wucht gegen den Wasserspender. Er ist aus Stahl und Kunststoff und es tut höllisch weh.
    Ein Blick in die Gesichter der Umstehenden reicht mir: Die Schüler sind zwar etwa in meinem Alter, aber ich kenne sie nicht. Offenbar gehen sie nicht hier zur Schule. Hinter ihnen sehe ich vier meiner Klassenkameraden, darunter Sam.
    »Soll das ein Witz sein?«, schimpfe ich.
    »Du hast es nicht anders verdient«, sagt eine mir unbekannte Stimme. Dann stößt mich jemand mit dem Kopf erneut gegen den Wasserspender. Um mich herum verschwimmt alles. Ich sinke auf die Knie. Ein Mädchen packt mich. Ich stoße ihm den Ellbogen in die Seite und es krümmt sich vornüber. Ein Schüler trifft mich mit der Faust über

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