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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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einfach in Luft auflöse, wird die Jägerin aufgeben, wieder gehen und sich nach einem anderen Opfer umsehen. Sie wird das Haus durchsuchen, aber sie kann im Dunkeln nicht das ganze Gelände durchkämmen.
    Wenn ich mich zwischen den Bäumen verstecke und abwarte, kann ich ein Taxi rufen, wenn die Jägerin gegangen ist. Mit Ray fahre ich nicht zurück, das ist vollkommen ausgeschlossen.
    Mit klopfendem Herzen husche ich an den parkenden Autos entlang. Die Schuhe tun weh, aber ich laufe weiter und tauche in der Dunkelheit ab, umgeben von feuchter Erde und tropfenden Bäumen. Etwas streift meinen Fuß und ich erschrecke furchtbar.
    Ich verstecke mich hinter einem nassen Baumstamm, lege meinen Kopf und die zitternden Hände an das Holz. Mein Herz schlägt so laut, dass ich sonst kaum etwas höre.
    Viel zu bald wird die Tür des Hauses aufgerissen. Ich erstarre und drücke mich fester an den Baum.
    »Wie kann sie weg sein?«, höre ich eine fremde Frauenstimme verärgert fragen. »Was soll das heißen?«
    »Sie ist nicht im Haus. Wir haben nachgesehen.«
    Drei Gestalten nähern sich dem Auto der Jägerin. Und mir.
    »Warum sollte sie einfach verschwinden? Hat jemand sie gewarnt?«
    »Ich war nicht bei ihr«, sagt Sonya. »Ich habe auf Sie gewartet. Ich weiß nicht, wohin sie gegangen ist.« Doch man hört ihr die Erleichterung an.
    »Und du?«, fragt sie Ray.
    Ray spielt seine Rolle sehr gut. »Niemand hat mir gesagt, dass ich sie ununterbrochen beaufsichtigen muss«, verteidigt er sich empört. Er tritt mit dem Fuß gegen kleine Kiesel auf dem Boden, ein sicheres Zeichen dafür, dass er nervös ist. »Sonya meinte, ich solle sie beschäftigen, also bin ich mit ihr nach oben gegangen, um mit ihr zu reden, um sie abzulenken, ja? Vielleicht hat sie zufällig aus dem Fenster gesehen und Angst bekommen.«
    »Ich stand nicht mit einer Axt mitten auf dem Hof«, entgegnet die Jägerin kalt.
    »Aber sie leidet an Verfolgungswahn. Wahrscheinlich haben die Meister ihr beigebracht, überall Gefahr zu wittern. Sie sagte, sie müsse auf die Toilette. Dorthin konnte ich sie schlecht begleiten, oder? Aber als sie dann wegblieb und ich nachsah, war die Toilette leer.«
    Die Jägerin geht auf und ab. »Dumme Kinder«, brummt sie verärgert und so laut, dass es alle hören.
    Angstschweiß und Regen bedecken meine Stirn. Ich lehne den Kopf wieder gegen den Baumstamm und schlucke. Ray und Sonya schweigen. Sonya, die laute, unerschrockene Sonya, wirkt ganz klein und eingeschüchtert. Ray hat die Hände in den Hosentaschen vergraben und kickt weiter kleine Steinchen über den Boden. Sein Blick wandert über die Bäume. Wahrscheinlich überlegt er, wo ich stecke. Die Jägerin geht immer noch auf und ab und kommt mir dabei bedrohlich nahe.
    »Wir müssen sie finden«, knurrt sie schließlich. »Ehe ich fahre, sehe ich mich noch um.«
    »Sie wollen das alles absuchen?« Sonya zeigt auf die Farm und die Bäume. »Dazu bräuchten Sie die ganze Nacht!«
    Die Jägerin flucht und lässt resigniert die Schultern fallen. Ich atme schon auf und spüre, wie Erleichterung mich durchflutet, da sehe ich, wie sie plötzlich stehen bleibt. Sie hat ein paar Schritte in meine Richtung gemacht und starrt bewegungslos auf den Boden wie ein Tier, das Witterung aufnimmt.
    »Die waren noch nicht da, als ich gekommen bin«, ruft sie aufgeregt.
    »Was denn?«
    »Die Fußabdrücke. Der Boden ist vom Regen aufgeweicht. Das hier sieht doch aus wie von hochhackigen Schuhen eines Mädchens.«
    Mir wird eiskalt. Meine Schuhe! An meine Schuhe habe ich nicht gedacht. Ray draußen auf dem Platz ist ebenfalls zu Tode erschrocken.
    »Die sind ganz bestimmt nicht …«, setzt er an.
    »Aber sicher«, erwidert die Jägerin und zieht das Hosenbein hoch. Etwas blitzt silbern auf und schon hält sie ein Messer in der Hand. »Sie ist in diese Richtung gegangen. Weit kann sie nicht gekommen sein. Nicht in diesen Schuhen.«
    »Was soll das Messer?«, fragt Ray empört, obwohl er die Antwort kennt. »Es war nur von einer Untersuchung die Rede …«
    »Natürlich«, sagt die Jägerin ungerührt, den Blick auf die Bäume gerichtet. Ich bin starr vor Angst. Gleich findet sie mich. »Aber ich muss sie doch daran hindern wegzulaufen. Echos sind gefährlich, ich weiß das, glaubt mir. Ich habe erleben müssen, wie das Echo meines Mannes alles zerstört hat, was uns lieb und teuer war. Ich weiß, zu was Echos imstande sind.« Sie lächelt Ray an. »Es ist ja nur ein kleines Messer. Das richtet

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