Lost Land
erinnere mich daran, dass sie mir immer eine Portion Eis mitgebracht hat, aus dem Laden, in dem sie gearbeitet hat. Eine halbe Extraration.«
Tom nickte. »WeiÃt du noch, wie sie ausgesehen hat?«
»Wie Mom«, sagte Benny. »Sie hat fast genau wie Mom ausgesehen.«
»Du warst noch zu klein, um dich an Mom erinnern zu können.«
»Ich erinnere mich aber an sie«, sagte Benny in scharfem Tonfall. Er holte seine Brieftasche hervor und zeigte Tom das Bild hinter der Klarsichthülle. »Mag sein, dass ich mich nicht richtig gut an sie erinnern kann, aber ich denke oft an sie. Eigentlich immer. Und auch an Dad. Ich kann mich sogar noch daran erinnern, was sie in der Ersten Nacht getragen hat. Ein weiÃes Kleid mit roten Ãrmeln. An die Ãrmel erinnere ich mich noch besonders gut.«
Tom schloss die Augen und seufzte. Seine Lippen bewegten sich. Benny glaubte, die Worte »rote Ãrmel« zu hören. SchlieÃlich schlug Tom die Lider auf. »Ich wusste gar nicht, dass du dieses Foto mit dir rumschleppst.« Sein Lächeln wirkte matt und traurig. »Ich erinnere mich auch an Mom. Sie war für mich eine bessere Mutter als meine leibliche Mom. Als Dad sie geheiratet hat, war ich unglaublich glücklich. Ich kann mich noch an jede Falte in ihrem Gesicht erinnern. An die Farbe ihrer Haare. An ihr Lächeln. Cathy war ein Jahr jünger, aber sie hätten Zwillinge sein können.«
Benny setzte sich aufrecht und schlang die Arme um die Knie. Ihm schwirrte der Kopf. So viele Gefühle kamen in ihm hoch, verbunden mit Erinnerungen, alten und neuen. Er schaute seinen Bruder an. »Damals ⦠als es passiert ist, warst du älter als ich jetzt.«
»Ich bin ein paar Tage vor der Ersten Nacht 20 geworden. Zu der Zeit besuchte ich gerade die Polizeiakademie. Dad hat deine Mom geheiratet, als ich 16 war.«
»Du hast sie kennengelernt. Ich nicht. Ich wünschte, ich â¦Â« Er lieà den Rest des Satzes unausgesprochen.
Tom nickte. »Ich auch, Kleiner.«
Schweigend hingen sie ihren eigenen Erinnerungen nach.
»Sag mal, Benny«, setzte Tom nach einer Weile an, »was hättest du getan, wenn einer deiner Freunde â sagen wir Chong oder Morgie â zu Tante Cathys Beerdigung gekommen wäre und in ihren Sarg gepinkelt hätte?«
Die Frage verblüffte Benny derartig, dass er impulsiv antwortete: »Ich hätte sie fertiggemacht. Ich meine, richtig fertiggemacht.«
Tom nickte.
Benny starrte ihn an. »Aber was soll die Frage?«
»Erzählâs mir: Warum wärst du gegenüber deinen Freunden ausgeflippt?«
»Weil sie sich respektlos gegenüber Tante Cathy verhalten hätten, was glaubst du denn?«
»Aber sie ist doch tot.«
»Was zum Teufel spielt das denn für eine Rolle? In ihren Sarg pissen? Ich hätte ihnen dermaÃen in den Arsch getreten!«
»Aber warum? Tante Cathy konnte es doch egal sein.«
»Es geht um ihre Beerdigung! Vielleicht ist sie ja irgendwie, ich weià nicht, noch da. So wie Pastor Kellog es immer sagt.«
»Was sagt er denn?«
»Dass die Seelen derer, die wir lieben, immer bei uns sind.«
»Okay. Was, wenn du nicht daran glauben würdest? Was, wenn du glauben würdest, Tante Cathy wäre bloà eine Leiche in einer Kiste? Und deine Freunde pinkeln auf sie?«
»Was glaubst du denn?«, fuhr Benny ihn an. »Ich würde ihnen trotzdem in den Arsch treten.«
»Ich glaube dir. Aber warum?«
»Weil«, setzte Benny an, zögerte dann jedoch â unsicher, wie er seine Empfindungen in Worte fassen sollte. »Weil Tante Cathy zu mir gehörte, verstehst du? Sie war meine Tante. Meine Familie. Niemand hat das Recht, meine Familie respektlos zu behandeln.«
»Genauso wenig wie du das Recht hast, auf das Grab von Morgie Mitchells Vater zu kacken. Oder ihn auszugraben und Müll auf seine Gebeine zu kippen. So etwas würdest du nicht tun?«
Benny war entsetzt. »Was hast du denn für einen Schaden, Mann? Wie kommst du auf diese ganze ScheiÃe? Natürlich würde ich so etwas Krankes nicht tun! Gott, für wen hältst du mich?«
»Pst ⦠nicht so laut«, mahnte Tom. »Also ⦠du würdest Morgies Dad, lebend oder tot, nicht respektlos behandeln?«
»Nein, verdammmich.«
»Achte auf deine Worte.«
Benny wiederholte langsamer und mit mehr Nachdruck: »Nein.
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