Lost Land
unseren Auftrag hier und schleichen uns dann leise, still und heimlich hinaus und ziehen weiter.«
Benny starrte erst ihn an und dann den sich windenden Zombie, der stöhnend auf dem Boden herumzappelte. »Du ⦠du hast einfach â¦Â«
»⦠Ãbung, Benny. Ich mach das hier nicht zum ersten Mal. Komm schon, hilf mir, ihn aufzurichten.«
Sie knieten sich zu beiden Seiten des Zombies, doch Benny wollte ihn nicht anfassen. Er hatte noch nie eine Leiche berührt und hatte keine Lust, ausgerechnet bei einem lebenden Toten, der gerade seinen Bruder hatte beiÃen wollen, eine Ausnahme zu machen.
»Benny, er kann dich jetzt nicht verletzen«, erklärte Tom, »er ist hilflos.«
Das Wort »hilflos« traf Benny tief. Unwillkürlich musste er dabei an den alten Roger denken â den tattrigen Zombie ohne Augen, Zähne und Finger â und an die beiden jungen Frauen, die sich um ihn kümmerten. Und an die arm- und beinlosen Rümpfe auf dem Wagen. »Hilflos«, murmelte er. »Mein Gott â¦Â«
»Komm«, sagte Tom sanft.
Gemeinsam hoben sie den Zombie an â er war leicht, vielleichter, als Benny erwartet hatte â und trugen ihn ins Esszimmer, fort vom Wohnzimmerfenster. Durch die mottenzerfressenen Vorhänge fiel Sonnenlicht auf den staubigen Tisch, wo die Reste einer Mahlzeit ebenfalls zu Staub zerfallen waren. Die Brüder setzten den Zombie auf einen Stuhl und Tom holte die Seidenschnur hervor und band ihn dort fest. Er sträubte sich zwar weiterhin, doch Benny verstand nun: Er war hilflos.
Hilflos.
Das Wort hing im Raum. Hässlich und mit einer schrecklichen, neuen Bedeutung beladen.
»Und was machen wir mit ihm?«, fragte Benny. »Ich meine ⦠danach?«
»Nichts. Wir lassen ihn hier.«
»Sollten wir ihn nicht begraben?«
»Warum? Das hier war sein Zuhause. Die ganze Welt ist ein Friedhof. Vor die Wahl gestellt, würdest du dann lieber in einer kleinen Holzkiste unter dem kalten Erdboden verrotten oder lieber an dem Ort bleiben, wo du gelebt hast? Dem Ort, wo du glücklich warst und geliebt wurdest?«
Keine der beiden Vorstellungen sagte Benny sonderlich zu und trotz der erstickenden Hitze im Raum schauderte er.
SchlieÃlich holte Tom den Umschlag aus seiner Tasche. Neben dem gefalteten Erosionsporträt befand sich ein Bogen cremefarbenes Briefpapier darin, auf dem ein paar handgeschriebene Zeilen standen. Tom las sie schweigend durch, seufzte und wandte sich dann an seinen Bruder: »Das Bändigen der Toten ist schwierig, Benny, aber es ist längst nicht der schwerste Teil.« Er hielt ihm den Brief entgegen. »Das hier ist viel schwieriger.«
Benny nahm den Brief und schaute Tom fragend an.
»Meine Kunden â die Leute, die mich dafür bezahlen, dass ich hierherkomme â wollen in der Regel, dass ein paar Worte gesprochen werden. Dinge, die sie gern selbst sagen würden, aber aufgrund der Umstände nicht können. Dinge, die sie loswerden müssen, damit sie das Kapitel abschlieÃen können. Verstehst du?«
Benny las den Brief. Völlig unerwartet spürte er plötzlich einen dicken Kloà im Hals und als ihm die ersten Tränen in die Augen stiegen, nickte er.
Tom nahm den Brief wieder an sich und erklärte: »Ich muss ihn laut vorlesen, Benny. Verstehst du das?«
Benny nickte erneut.
Tom hielt den Brief in das staubige Licht und las:
Mein lieber Harold,
ich liebe dich und du fehlst mir. Du fehlst mir so sehr. Obwohl inzwischen viele Jahre vergangen sind, träume ich noch immer jede Nacht von dir und jeden Morgen bete ich, dass du Frieden gefunden hast. Ich verzeihe dir, was du mir antun wolltest. Und ich verzeihe dir, was du den Kindern angetan hast. Lange Zeit habe ich dich gehasst, aber jetzt begreife ich, dass das nicht du selbst warst. Es war diese Sache, die geschehen ist. Du sollst wissen, dass ich mich um unsere Kinder gekümmert habe, als sie verwandelt wurden. Sie haben ihre letzte Ruhe gefunden und ich lege jeden Sonntag Blumen auf ihr Grab. Ich weiÃ, dass dir das gefallen würde. Ich habe Tom Imura gebeten, dich zu suchen. Er ist ein guter Mensch und ich weiÃ, dass er sanft mit dir umgehen wird. Ich liebe dich, Harold. Möge Gott dir Seinen Frieden gewähren. Ich weiÃ, dass du, wenn meine Zeit gekommen ist, auf mich warten wirst. Dass du mit Bethy und dem kleinen Stephen warten wirst und
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