Lost Princesses 01 - Der Lord Und Die Rebellin
an die Gäste verkaufen und auf sofortiger Zahlung bestehen. Falls Hepburn die Grenze auch nur einen Fußbreit überschritt, würde sie ihm eine kleine Lüge auftischen, dass sie Mistress Dubb bei der Gesichtscreme helfen musste, nach Freya Crags reiten, Amy abholen und fliehen. Ja, das war ein guter Plan.
Ernst und nachdenklich folgte sie Hepburn den Weg hinauf.
Als sie durch das Tor ritt, überlief sie ein rätselhaftes Kribbeln, als hätte sie eine Schwelle überschritten, über die sie niemals wieder dorthin zurückkehren würde, woher sie gekommen war.
Fast wäre sie umgekehrt. Doch die Vorstellung, die nächsten Monate in Schottland überstehen zu müssen, ohne genug Geld für Nahrung oder andere lebensnotwendige Bedürfnisse zu haben, und der Gedanke an den Richter in England, der sie hängen würde, wenn er konnte, trieb sie voran. Zudem schimmerte immer der Gedanke an Beaumontagne wie ein Silberstreif am Horizont und zog sie weiter.
Clarice schüttelte ihre Verzagtheit ab und ritt in eine nur mühsam gezähmte Wildnis, in der riesige Eichen in der Frühlingsluft zitterten und Azaleensträuche in Rosa und jungfräulichem Weiß blühten. Der Duft von Kiefern würzte die Luft, und dieser Geruch hob Clarice’ Laune und machte sie mutig.
Sie hatte Schwierigeres bewältigt. Wenn alles gut ging und Hepburn sein Versprechen hielt, sie fürstlich zu entlohnen, dann konnten Amy und sie endlich die Passage nach Beaumontagne bezahlen, sich in ihr Land schleichen und ihre Großmutter suchen. Dann würden sie ihr helfen, die letzten Rebellen niederzuwerfen. Vielleicht war ihre Großmutter ja doch alt und schwach geworden und hatte ihnen deshalb keine Nachricht geschickt, dass sie zurückkehren konnten. Möglicherweise versuchte sie aber auch, sie vor Unbill zu bewahren. Ihr war gewiss nicht klar, dass die zerbrechlichen Mädchen, die sie fortgeschickt hatte, mittlerweile erwachsen geworden waren und weit mehr beherrschten als Stickereien und Tanz. Diese Prüfung bei Hepburn war eine der letzten Herausforderungen, die sie bestehen musste, davon war Clarice fest überzeugt.
Als sie den Lord auf dem Kamm der Anhöhe einholte, hatte Clarice ihren Mut und ihre Vernunft wiedergefunden.
Er deutete mit seinem schwarzen Lederhandschuh nach vorn. »Da sind wir. MacKenzie Manor.«
Schon als sie das vierstöckige, massive Haus von der Straße aus gesehen hatte, hatte es abweisend auf sie gewirkt. Jetzt, hinter dem ausgedehnten Rasen gelegen und durch das glänzende Laub der Bäume betrachtet, erhob sich der graue Stein jäh aus dem weichen grünen Gras. Das Gebäude wirkte düster und beeindruckend, weniger wie ein Heim denn wie ein Bauwerk, das offenbar entworfen worden war, diejenigen einzuschüchtern und zu demütigen, die es wagten, die mächtigen Hepburns zu besuchen. Kein Efeu zierte die kalte Fassade, und es schmückten auch keine Blumenbeete die Grundmauern des Hauses. Kein Vorbau empfing die Besucher. MacKenzie Manor strahlte Wohlstand und Prestige aus, das schon, aber es verhieß nichts Heimeliges oder Künstlerisches.
Erneut überkam sie das Gefühl, in eine Falle zu reiten, und sie warf dem Mann neben sich einen verstohlenen Blick zu.
Sein Auftreten war ebenso beeindruckend wie die Wirkung seines Hauses. Sonnenstrahlen fielen durch das Laubwerk auf sein Gesicht, aber die sanften Lichttupfer konnten den barschen Eindruck der harten, hervortretenden Knochen unter der Haut nicht abmildern. Durch den Ritt war sein Haar aus seinem Gesicht nach hinten geweht und dämpfte die Strenge seiner Züge nicht mehr. Eine große Narbe leuchtete rötlich über seiner Schläfe. Diese Verletzung musste ihm sehr viel Qualen bereitet haben.
Dennoch schien er kein Mitleid mit sich zu dulden, und sein Verhalten strahlte weder Wärme noch Stolz über MacKenzie Manor aus. Stattdessen betrachtete er das Herrenhaus mit dem kühlen Blick eines Mannes, der besaß, ohne zu lieben.
Dann richtete er denselben abschätzenden Blick auf Clarice.
Sie sollte fliehen. Sie sollte den Weg hinabgaloppieren und nicht zurückblicken.
Stattdessen konnte sie ihren Blick nicht von seinem losrei ßen.
Ihr ganzes Leben lang hatte sie mit angesehen, wie andere Menschen unter unglücklichen Leidenschaften litten, die urplötzlich über sie hereingebrochen waren, und hatte sich darüber gewundert. Aber sie war schließlich eine Prinzessin. Sie kontrollierte jede ihrer Bewegungen, jedes Lächeln, jedes Gefühl. Leidenschaft war etwas für das gemeine Volk,
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