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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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Jahren unsere erste Pizza geteilt. Eine rot gestrichene Decke und zu viele Tische zu eng beieinander. Den Kinderwagen müssen wir in den Keller schleppen. Wir bestellen Nudeln mit Parmesan für Ben, ich gebe dem Kellner einen Brei für Lotta, zum Aufwärmen. Er bringt uns einen Kinderhochstuhl, ich schicke ihn mit einem Kopfschütteln weg.
    Er bringt ihn einen Tisch weiter. Olivia heißt die Kleine, die darauf Platz nimmt. »Olivia, would you like some bread?«, »Olivia, would you like Pasta?« Braune Locken, Spängchen in den Haaren, ein gelber Kaschmirpullover und ein Lächeln, das bis zu uns leuchtet. Der Kellner bringt die Karte, versteckt sich dahinter, schaut hervor, »Peekaboo!«, und Olivia lacht. Ihre Eltern haben sie in die Mitte genommen, sie regiert den Tisch, an dem sie sitzen. Sie zeigt auf ihren Vater, »Dedi!« im Kommandoton, streckt ihren gespitzten Mund vor und kriegt einen Kuss. Ich lache. Die Mutter sieht mich herüberschauen und lächelt. »How old is she?«, fragt sie. Sie deutet auf Lotta, die in meinen Armen liegt.
    »Almost one year.« Nächste Woche wird Lotta ein Jahr alt.
    »Oh«, sagt die Mutter. »They are the same age.« Sie lächelt.
    Sie sind gleich alt. Ich sehe Olivia, wie sie lacht und fuchtelt, wie sie regiert und interagiert. Ich schaue nach unten, küsse Lotta auf den Kopf, der in meinem Arm ruht. Ich merke, dass ich weine. Es rinnt mir die Wangen runter, als hätte einer den Wasserhahn aufgedreht. Ich kann es nicht stoppen. Ich entschuldige mich und gehe auf die Toilette.

    Ich bin selbst schuld. Ich hätte es mir denken können. Da sage ich Verabredungen ab, wenn ich weiß, dass es kleine Geschwister gibt, da senke ich den Blick, wenn mir Kinderwagen entgegenkommen, und renne jetzt ins offene Messer. Was konnte Ben schon alles, als er ein Jahr alt war. »Mama«, »Papa«, die ersten wackeligen Schritte. Sei dankbar für das, was du hast. Sie lebt. Sie lächelt. Du würdest sie nie hergeben. Dein Kind kann lächeln, verdammt, genieß es.
    Solange wir die anderen nicht sehen, leben wir normal. So lange ist Lotta langsam, doch auf dem richtigen Weg. Erst wenn wir die anderen sehen, merken wir, wie schnell sich die Welt außerhalb unserer Seifenblase dreht. Erst dann merken wir, wie groß unser Rückstand ist. Wie schnell unsere Seifenblase platzt.
    Kann man um ein Kind trauern, das es nie gab? Was wäre gewesen, wenn der Zufall ein anderes Baby ausgewählt hätte? Wie wäre Lotta gewesen? Ein Derwisch und ein Wirbelwind oder ein Mädchen, das sich hinter seinen Haaren versteckt? Das Mädchen, das Lotta hätte sein können, es tappst durch meinen Kopf. Auf dicken Beinen probt es seine ersten Schritte und plumpst auf seinen Pampers-Popo. Es lacht, streckt mir seine Arme entgegen und sagt »Mami«. Es muss verschwinden. Sonst kann ich nicht das Mädchen sehen, das Lotta geworden ist.

    New York ist eine Übersprungshandlung. Wie zwei Hähne, die nicht wissen, ob sie den Kampf aufnehmen sollen oder weglaufen, picken wir am Boden. Wir sitzen auf einer Bank im Central Park, über dem Woolman-Rink, der berühmten Eislauffläche, dahinter leuchtet die Skyline. Lotta schläft im Kinderwagen, Ben steht am Geländer, er drückt sein Gesicht an die Gitterstäbe und schaut den Eisläufern zu. Die Musik dröhnt: » I see trees of green, red roses too. I see them bloom for me and you ...«
    Hier saßen wir damals im Januar 2004 und haben uns gefragt, wie eine Fernbeziehung zwischen Hamburg und New York funktionieren soll. »Wenn wir das schaffen, schaffen wir alles«, hat Harry gesagt. Wie alle Verliebten haben wir uns eine Zukunft in bunten Farben gemalt. Zwei Kinder, klar. »Am liebsten zuerst ein Junge!«, habe ich gesagt, damals, hier. Unsere Atemluft weiß in der Luft.
    »Und dann ein Mädchen!«, hat er ergänzt: »Und dann ...?«
    Ich habe lachend den Kopf geschüttelt.
    All unsere Träume haben sich erfüllt. And I think to myself: What a wonderful world . »Ich will auch Schlittschuh fahren«, ruft Ben. »Und Lotta soll mit!«
    Was waren wir ahnungslos.

    Abends, als die Kinder im Bett liegen, sagt Harry: »Sag mal, willst du nicht mal alleine raus?«
    »Raus?«
    Er deutet zum Fenster, dahinter Hochhäuser mit hell erleuchteten Fenstern. Der Adventskalender New York, hinter jedem Türchen Schokolade.
    Ich laufe an dem Drugstore vorbei, an den Kassen lange Schlangen, Menschen, die Einkaufstüten schleppen, voller Weihnachtsgeschenke, Menschen, die Taxis herbeiwinken, die in Bars

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