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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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Papa auch da?«, fragt Ben.
    »Da!«
    Harry. Endlich.

    Es hat sich nichts geändert. Auf der Straße jaulen die Polizeisirenen, der Wind pfeift, die Massen schieben sich über den Bürgersteig und die Treppen hinunter in den U-Bahn-Schacht, wir hinterher, gemeinsam tragen wir Lottas Wagen hinab in den Untergrund.
    Als wir in der U-Bahn stehen – Ben an Harrys Beine geklammert, ich halte mich mit einer Hand oben an der Schlaufe fest, mit der anderen halte ich Lottas Wagen und werde mit jeder Kurve an die zwei geschleudert –, grinsen wir. Gleichzeitig rufen wir über das Rattern hinweg: »Weißt du noch?« Es ist November 2010. Wir reisen in die Vergangenheit.
    Unseren Lieblingsitaliener gibt es nicht mehr, doch in der Reinigung um die Ecke umarmt die alte Chinesin Harry. Früher hat sie nur »Good day to you« gesagt, es muss die Überraschung sein. Sie sieht danach fast peinlich berührt aus und kichert mit der Hand vor dem Mund. »Mr. 19 A!«, sagt sie. Bruce, der Doorman in Harrys altem Gebäude an der 86th, macht mit Ben High Five und bringt ihm die korrekte Aussprache von »Yo, man« bei.
    Ein Urlaub wie ein großes »Weißt du noch?«. Ein eisiger Abendspaziergang auf der Brooklyn Bridge, mit Ben auf den Schultern und Blick auf die erleuchtete Skyline, ein Frühstück bei »Dean & DeLuca« auf der Upper East Side, wo immer noch die gleiche Klassik-CD läuft wie vor sieben Jahren, die Bar Ecke 6th Avenue, 58th Street, vor der wir damals so lange standen, bis ein Passant rief: »Go, get a room.« Heute können wir hier nicht mal einen Tee trinken, Zutritt nur für Erwachsene.
    »Was ist denn hier?«, fragt Ben.
    »Hier haben Mama und Papa geknutscht«, sagt Harry.
    »Was ist knutschen?«
    Harry legt eine Hand an meinen Hinterkopf und mit dem anderen Arm zieht er mich an sich. Ben zerrt an meinem Ärmel. »Weitergeben!« Er kriegt einen Kuss von mir, dreht sich um, klappt das Verdeck von Lottas Wagen herunter und stellt sich auf die Zehenspitzen. »Weitergeben«, sagt er zu Lotta und küsst sie auf die rote Nase.
    Wenn Harry arbeitet, gehe ich mit Ben und Lotta warm eingepackt in den Central Park. Wir stehen eine halbe Stunde an, um die weihnachtlich geschmückten Schaufenster von »Saks« auf der Fifth Avenue zu sehen, im Spielzeugparadies von »FAO Schwarz« verliere ich Ben aus den Augen, für quälende zwei Minuten habe ich ihn verloren, bis ich ihn bei den Feuerwehrautos wiederfinde, wir kaufen jeden Tag gebrannte Mandeln bei den vielen Verkaufswagen am Straßenrand und kriegen Bauchschmerzen.
    »Mama, hör mal!«, sagt Ben. Ein Feuerwehrtruck rast vorbei. Der Laden vor uns hat Lautsprecher so montiert, dass sie den Bürgersteig beschallen. » Jingle bells, jingle bells, jingle all the way ...«
    »Lotta«, sagt Ben. »Warum ist sie so leise?«
    Sie liegt in ihrem Wagen und reißt die Augen auf. Stumm. »Vielleicht mag sie New York.«
    Ben schüttelt den Kopf. »New York ist lauter. Lauter als Lotta.«
    Lottas lange Wimpern sind schwarz geworden, sie umrahmen große, dunkle Augen. Ihr Gesicht ist immer noch klein und sehr weiß. Ihre Nase ist die gleiche wie Bens, gerade und lang. Meist ist ihre Nasenspitze rot wie die von Rudolph, the red-nosed reindeer. Von uns allen kann sie am kritischsten gucken. Stirnrunzeln, Mundwinkel nach unten. Wer sie ärgert, sieht ein perfektes U, das auf dem Kopf steht, so sehr verzieht sie ihren Mund. »Hüm, hüm, hüüüüüüm!« ist das passende Geräusch dazu. »Unsere kleine, alte Dame« nennt Harry sie. Sie hat fast keine Haare. Wenn sie lächelt, graben sich zwei dicke Grübchen in ihre Wangen. Sie hat schon drei Embos hinter sich. Wenn ich meine Finger seitlich an ihren Hals lege, spüre ich die Halsschlagader unnatürlich stark, wie einen pulsierenden Wasserstrahl unter ihrer Haut. Fast höre ich das Blut nach oben rauschen.
    Meist klappe ich das Verdeck nach unten und beruhige so mein Gewissen. Blinkende Weihnachtsbäume, glitzernde Girlanden über den Straßen – Sehfrühförderung.

    Wer als New Yorker etwas auf sich hält, der schaut selbst Bill Clinton auf der Straße kein zweites Mal an. Starren ist was für Touristen. Lotta kann ihren Kopf nicht halten, sie ist zu groß und hat zu viele Zähne für ein Baby, doch keiner scheint es zu bemerken. Wir sehen kein Rätseln, nur lächelnde Unverbindlichkeit. We are doing great. We look amazing. War Duisburg nur ein Traum?
    Im »Bella Blu« auf der Upper West Side, Lexington Avenue. Hier haben wir uns vor sieben

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