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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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Kindergarten funktionieren? Wird Lotta sich wohlfühlen? Verschenke ich das Potenzial, das Lotta hat, wenn ich sie in einen Kindergarten voller nicht behinderter Kinder stecke?
    Beim Thema Inklusion ist Deutschland Entwicklungsland, lese ich in der Zeitung. »Schlusslicht in Europa«, sagt im Spiegel Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland. Etwa 22,3 Prozent der 485 000 deutschen Schüler mit Sonderförderbedarf gehen auf eine Regelschule – und das ist der Bundesdurchschnitt. In Niedersachsen etwa sind es nur 8,5 Prozent. International sind es im Schnitt 85 Prozent.
    Deutschland hat sich verpflichtet aufzuholen. Alle vier Jahre müssen die Fortschritte auf diesem Gebiet vor den UN präsentiert werden. In den Bundesländern werden Inklusionspläne entworfen und wieder verworfen. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung reist durchs Land und zeichnet Inklusionsvorbilder aus, die auf einer Inklusionslandkarte verzeichnet werden. In diesen Einrichtungen stehen zum Beispiel Integrationshelfer den Kindern zur Seite, unterrichten Sonderschulpädagogen gemeinsam mit den Lehrern alle Kinder in einer Klasse beim Gemeinsamen Unterricht. In der FAZ, in der Kölnischen Rundschau , in der Zeit , überall stoße ich in diesen Tagen auf Artikel, die sich mit Inklusion beschäftigen.
    Bei der Debatte geht es auch ums Geld. Das System der Förderschulen und Sondereinrichtungen in Deutschland hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt, »das höchstspezialisierte der Welt«, lese ich in der Zeitung. »Isolationsfallen«, hat eine Studie der Bertelsmann-Stiftung sie genannt. Wer einmal auf einer Sonderschule gelandet ist, für den führt der Weg in aller Regel direkt in die Behindertenwerkstatt. Nur wenige schaffen den Sprung in die reguläre Arbeitswelt. Die passende Sonderschule gibt es nicht in jedem kleinen Ort, für viele Kinder vom Land bedeutet der Schulanfang lange Fahrwege oder schlimmstenfalls den Umzug ins Heim. Welche Schule wird Mia einmal besuchen, das Mädchen im Rollstuhl, das ins Hospiz statt in den Kindergarten geht? Sollen die Förderschulen abgeschafft werden – so wie der heilpädagogische Kindergarten in unserer Stadt geschlossen wurde? Sollen sie für andere Schüler geöffnet werden? Selbst wenn die Mittel für die Sonderschulen abgezogen und in den Umbau des Bildungssystems gesteckt würden, fehlten dem deutschen Schulsystem für die Umstellung in den nächsten zehn Jahren etwa 10 000 neue Lehrer, hat die Bertelsmann-Stiftung errechnet.
    Im Moment ist Inklusion noch ein Schlagwort, das alles bedeuten kann. Was es konkret für unseren Alltag heißen wird, hängt von den politischen Entscheidungen der nächsten Jahre ab. Auf welche Schule wird Lotta einmal gehen? Wie weit wird Deutschland dann in puncto Inklusion sein? Werde ich noch die Wahl haben zwischen Sonder- und Regelschule? Und welche werde ich wollen? Während wir nach dem richtigen Weg für Lotta suchen, ist alles um uns herum im Umbruch.
    Machen wir das Richtige? Wie organisieren wir die Therapien? Was ist, wenn Lotta einen Anfall hat? »Sie übergibt sich ab und zu mal«, warne ich Zora.
    »Wir werden es überleben«, sagt sie.
    »Und sie kann ziemlich zickig sein.«
    »Das kennen wir hier auch.« Sie zögert und sagt: »Wegen der Epilepsie müssen wir uns allerdings erkundigen, wie wir das rechtlich so regeln, dass wir auch abgesichert sind.«

    »Lotta ist sehr gut eingestellt, da kann sie ohne Weiteres in den Kindergarten gehen«, sagt Dr. Waltz.
    Wir sind bei einem Anfall alle drei Wochen. Kein Diazepam seit Monaten. Kein Blaulicht seit einem Jahr. Anfälle haben für uns schon längst den Stellenwert von Albträumen, beunruhigend, so lange sie andauern, doch danach geht das Leben weiter. »Aber die Leitung des Kindergartens will sich absichern.«
    »Sollen sie ja auch, aber die haben keinen Grund, sich Sorgen zu machen.«
    Der Kindergarten arbeitet einen Vertrag aus über die »Medikamentenabgabe in der Kita«. Ich zeige Zora das Diazepam, eine Rektiole kommt unter Verschluss in den Medizinschrank. »Im Zweifel ruft ihr 112 an.«

    Jeden Morgen gehe ich gemeinsam mit Lotta in den Kindergarten. Eine Woche, zwei Wochen. Ich sitze mit ihr im Stuhlkreis, im Singkreis, auf dem Spielplatz. Nicht alle Erzieher kennen behinderte Kinder. Nicht alle Arme sind gleich weit offen. Auch bei den Kindern nicht. Bis auf Kofi halten alle einen Sicherheitsabstand. Ich gewöhne nicht nur Lotta ein. »Was hat sie denn?« Eine Erzieherin

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