Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)
Teller kommen eben nach links.«
Ich schubse ihn mit der Hüfte an.
»Das wird sonst nicht richtig sauber«, sagt er. »Aber ich weiß, was du meinst. Wenn wir Lotta schaffen, dann scheitern wir nicht am Streit über die Spülmaschine.«
Wir schauen auf die Bilder am Kühlschrank. »Meinst du, wir kriegen irgendwann Beschwerden zu hören, weil Lotta anderen Kindern in den Ranzen pinkelt?«
»Wenn sie das schafft, bin ich stolz auf sie.«
Von nebenan hören wir Gelächter. »Meinst du, Eltern behinderter Kinder stehen auch mal bei Partys knutschend in der Küche?«
»Auf keinen Fall.«
Ben ist jetzt fünf. »Habt ihr euch schon für eine Schule entschieden?« Melanie, auf der Straße.
Mein Abgang vom letzten Mal tut mir leid. Schuppenflechte ist bestimmt schlimm. »Wie geht es Noah?«
Melanie winkt ab. »Ach, das geht. Ehrlich gesagt, nerven mich mittlerweile die Nachfragen. Und diese mitleidigen Blicke ...!« Sie schaut mich an, der Gesichtsausdruck wird betroffen. »Und verglichen mit euch ist das ja gar nichts. Wie geht es Lotta?« Hand auf meinem Arm.
»Toll«, sage ich. »Sie macht erste Laute.«
»Schön«, sagt sie und ihr Tonfall sagt »schrecklich«. Sie fragt: »Bist du morgen Abend auch auf dem Infoabend in der Birkenstraße?«
»Birkenstraße?«
»Die private Grundschule. Die hat einen fantastischen Ruf.«
»Ich dachte eigentlich an die Schule bei uns um die Ecke.«
»Mmhh«, sagt Melanie. »Da hast du natürlich den Vorteil, dass du Ben nicht fahren musst. Aber die haben das Einzugsgebiet nach hinten raus, das ist ...« Sie zögert und beugt sich vor. »Das ist eine sehr heterogene Schule. Und die Birkenstraße ist seit letztem Jahr inklusiv. Das wäre was für euch, oder?«
»Wir sind doch auch eine sehr heterogene Familie.«
Sie lächelt, als hätte ich einen Witz gemacht. »Weißt du, die Mischung muss stimmen.« Wahrscheinlich hätte ich diesem Satz früher gedankenlos zugestimmt. Nun weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn man am anderen Ende steht. Wenn man zu denen gehört, von denen es nicht zu viele geben darf. Weil sie die Gruppe aufhalten. Weil sie mehr Aufmerksamkeit brauchen. Wir können Ihrer Tochter leider keinen Kindergartenplatz anbieten. Wir müssen ja auch auf die Mischung achten. »Meinst du?«, frage ich Melanie. Wann genau ist eine Mischung richtig?
Wir sind zu früh. Birkenstraße. Ich setze mich auf die Bank neben der Aula, Melanie schaut sich auf Pappwänden die Bilder der Architektur-AG an. »Die haben eine Schule in Afrika entworfen, schau mal.«
»Toll.«
Eine andere Mutter kommt herein und schaut auf die Uhr. »Es geht erst um acht los, oder? Ich hätte gedacht, ich brauche für den Weg länger.«
Sie setzt sich neben mich. Ich frage: »Wo kommst du denn her?«
»Aus der Südstadt.«
»Da fährst du doch mindestens eine halbe Stunde.«
»Ich weiß, ganz schön langer Schulweg. Ich bin auch verrückt, ich habe mir schon vier Schulen angesehen. Völlig übertrieben.«
»Machen wir doch alle«, sagt Melanie von den Pappwänden her.
»Klar«, sage ich.
Die fremde Mutter: »Meine Tochter braucht eben eine besondere Schule. Die ist etwas anders als andere Kinder.«
Melanie zieht die Augenbrauen hoch und sagt mit einem Blick auf mich: »Hier sollen die Lehrer ganz individuell auf jeden Schüler eingehen. Jeder nach seinem Tempo.«
»Genau!«, sagt die Mutter. »Deshalb bin ich hier. Meine Tochter braucht mehr Förderung als normale Kinder, die würde an einer 08/15-Schule untergehen.«
Fehlt nicht viel und Melanie würde mich schubsen. »Das kenne ich«, sage ich. »Das ist nicht einfach.«
»Vor allem, wenn es auf die Schule zugeht. Im Kindergarten haben alle noch Verständnis.«
Ich nicke. »Darf ich fragen ...?«
»Meine Tochter ist schwer mehrfach begabt.«
»Oh«, sage ich.
Nach einer kurzen Pause sagt Melanie: »Habt ihr das gleich gewusst? Oder wie wird so etwas diagnostiziert? Ich habe auch schon mal gedacht, der Luca ...«
Später nach dem Vortrag der Direktorin, Fragestunde für die Eltern. »Kann mein Kind schon mit fünf eingeschult werden?«
»Was, wenn man eine Klasse überspringen will?«
»Noch mal zum Gemeinsamen Unterricht: Was ist mit Kindern, die gar nicht anders können, als den Unterricht zu stören? Werden die aus der Klasse rausgenommen?«
Inklusion ist angenehmer, wenn es darum geht, die Schnelleren nicht aus dem Auge zu verlieren. Inklusion wird schwierig, wenn es um Kinder geht, deren Andersartigkeit andere Eltern
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