Lotterie der Liebe
am Arm. “Moment mal, Miss Bainbridge. Können wir in Ruhe darüber sprechen, statt rennenderweise?”
Widerstrebend ging Amy langsamer. Linkerhand befand sich unter einem Kastanienbaum eine Weidenumzäunung mit einem Gatter. Amy strebte in den Schatten und lehnte sich an die Holzbalken, die sich warm in ihrem Rücken anfühlten.
“Worüber wollen Sie noch reden, Mylord? Die Entscheidung ist längst gefallen.”
“Ich verstehe. Lady Bainbridge will vor dem Klatsch flüchten, und Sie fügen sich ihr?”
Amy errötete. “Ich persönlich würde mich ihm stellen, aber Mama ist nicht so widerstandsfähig. Er hat sie sehr unglücklich gemacht, und sie meint, dass der Skandal sich von allein legt, wenn wir wieder in Oxfordshire sind.” Amy zuckte mit den Schultern. “Die Rückkehr aufs Land ist ein kleiner Preis, den ich zahlen muss, um Mama glücklich zu machen, und außerdem bin ich gern dort.”
“Ich verstehe”, sagte Jonathan erneut, diesmal in eigenartigem Ton. “Wir werden uns also nicht wiedersehen.”
“Vermutlich nicht.” Amy streckte die Hand aus. “Wahrscheinlich ist es besser so. Die Form der Begleichung dieser Spielschuld hat zu einer Menge Gerede geführt, fast so viel wie über den Lotteriegewinn, und es wird gut sein, den Klatsch sich legen zu lassen.”
Gespannt schaute Jonathan Amy an. “Stört er Sie so sehr?”
“Nein, aber man hat mir immer gesagt, dass ich kein gesellschaftliches Feingefühl besitze. Wo kein Rauch ist, kann auch kein Feuer sein.”
“Ich glaube, dass ich einen Teil der Verantwortung übernehmen muss. Ich habe diese Art der Begleichung der Spielschuld akzeptiert und den Klatsch darüber ausgelöst, und alles nur, um das Vergnügen Ihrer Gesellschaft zu haben, Miss Bainbridge.”
Erneut spürte sie, dass ihr Herz einen Sprung machte. “Ja, Sie waren ungemein zuvorkommend zu mir, Mylord.”
“Das haben Sie bereits gesagt. Nun, da ich heute entdeckt habe, wie schön es auf dem Land ist, sollte ich Sie vielleicht in Nettlecombe besuchen kommen. Würden Sie mich einladen, Miss Bainbridge?”
Sie lächelte leicht. “Ja, natürlich.”
Sie konnte nicht glauben, dass der Earl of Tallant so weit fahren würde, nur um sie zu besuchen. Warum sollte er das tun? Da er in London auf so viele raffinierte Unterhaltungsmöglichkeiten zurückgreifen konnte, würde er die ziemlich befremdliche Beziehung zu ihr bald vergessen haben.
“Das ist also unser letztes gemeinsames Unternehmen”, sagte er nachdenklich. Er stützte eine Hand auf das Gatter und lächelte Amy an. “Da das vermutlich der einzige ungestörte Augenblick ist, den wir vor Ihrer Abreise noch haben werden, möchte ich Ihnen sagen, Miss Bainbridge, dass ich Ihre Gesellschaft sehr genossen habe. Es wird mir leidtun, Sie abreisen zu sehen.”
“Vielen Dank, Mylord.” Das durchs Laub fallende Sonnenlicht machte Amy blinzeln. Sie schluckte und stellte überrascht fest, dass sie sich plötzlich innerlich leer fühlte. Das war lächerlich. Der Earl of Tallant verabschiedete sich in sehr unbeschwerter und charmanter Weise, die ganz im Einklang mit ihrer beider Beziehung zueinander stand, und Amy wollte … Was? Wenn sie sich doch nur nicht so schrecklich in ihn verliebt hätte! In Anbetracht der Aufmerksamkeit, die er ihr bewiesen hatte, war das beinahe unausweichlich gewesen, dennoch hatte sie sich ganz sicher gewähnt. Da sie so fest entschlossen gewesen war, sein Verhalten von Herzen zu missbilligen, war ihr kaum bewusst geworden, wie ihre Kritik an ihm sich langsam in Vergnügen an seiner Gesellschaft verwandelt hatte. Und von da an war etwas Tieferes daraus geworden und sie nun vollkommen verloren.
“Ich hoffe, dass ich … äh … alle von mir erwarteten Pflichten erfüllt habe”, fuhr er fort. Die Sonne blendete Amy, sodass sie seine Miene nicht erkennen konnte. “Falls ich in irgendeinem Punkt versagt haben sollte, bleibt Ihnen nur noch wenig Zeit, um diesen Fehler zu beheben.”
“Nun, ich …” In Gedanken sah Amy Lady Carterets Park. “Es gibt etwas.” Ihre Stimme klang ihr selbst fremd in den Ohren. Sie räusperte sich. “Sie könnten mich zum Abschied küssen.”
Kaum hatte sie das geäußert, wich sie noch weiter zum Stamm der Kastanie zurück. Die kühle Luft im Schatten erfrischte ihre erhitzten Wangen. Sie wagte nicht, den Earl anzusehen. Sie äußerte sich selten derart freimütig, doch er hatte gefragt, was er sonst noch für sie tun könne, und sie hatte ihm eine ehrliche Antwort
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