Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
Judith wunderte sich immer wieder darüber. Nun taten ihr die Leute leid, die sie in Neuengland zurückgelassen hatte. Sie konnten nicht jeden Morgen, wenn sie die Fenster öffneten, diese Wunder der Natur sehen. Alle Zweige und Blätter schienen aus Gold und Saphir zu sein. Gewiß, der Sommer würde wiederkommen und der Himmel aufs neue einer großen, kupfernen Schale gleichen, die das Schicksal erbarmungslos über die Erde wölbte. Aber in diesem Jahr würde sie nicht verzweifeln, denn sie wußte ja, daß es wieder anders werden und ein neuer Februar folgen würde. Wahrscheinlich hatten die armen Kolonisten, die zuerst nach Neuengland gekommen waren, bei dem langen, weißen Winter dasselbe Gefühl gehabt, denn ihnen hatte auch niemand gesagt, daß im Juni reicher Blumenschmuck auf Wiesen und Feldern prangen würde. Jener Juni, den sie zum erstenmal in der neuen Heimat erlebten, mußte ihnen ebenso wie ein Wunder erschienen sein wie ihr hier im Süden der Februar. Man sollte vorher wissen können, daß der Februar in Louisiana so herrlich und schön war. Es lohnte sich, um seinetwillen die Hitze des Sommers und die Nebel des Winters zu ertragen.
Aber vielleicht war es doch besser, nicht darauf vorbereitet zu sein. Wenn das Wunder unerwartet kam wie dieses, steigerte die Überraschung den Taumel der Glückseligkeit und Begeisterung. Hier unten gab es nicht die Wiesenblumen wie in Connecticut, dafür schmückten die Sträucher sich mit feuerfarbenen Blüten, deren Namen sie nicht kannte, und an den leblos erscheinenden Stengeln in den Nebenbuchten des Flusses prangten dunkelrote Blumen. Bald würden auch ihre Beschwerden vorübergehen, dachte Judith, die ihr soviel Sorgen machten, und sie würde wieder so leichtfüßig und frisch wie früher sein. Jetzt war es sogar köstlich, die Bewegungen des Kindes im eigenen Körper zu spüren. Es war das erste einer großen Familie, die später über dieses herrliche Land gebieten sollte. Sie war stolz, daß sie bald ein Kind haben sollte.
An einem Vormittag kam Philip unerwartet ins Haus zurück.
»Ich fahre zur Stadt, um die Pflugscharen ausbessern zu lassen, Judith. Was soll ich dir mitbringen?«
Sie lächelte ihn an.
»Etwas Kitt, um die Ritzen zwischen den Baumstämmen auszufüllen. Bitte!«
»Ja, das will ich bestimmt tun, Liebling. Diesmal vergesse ich es sicher nicht. Und was meinst du zu dem Spiegel, den ich dir versprochen habe?«
»Glaubst du immer noch, daß ich schön bin?« fragte sie ernst.
»Du hast die herrlichsten Augen, die ich jemals gesehen habe. So dunkelgolden wie die Sonne auf dem Fluß.«
»Immerhin fühle ich mich glänzend.«
»Ich auch. Es tut mir nur leid, daß ich immer soviel Zeit verschlafen muß.« Er küßte sie. »Also, auf Wiedersehen, Schatz. Ich komme zurück, so schnell ich kann.«
Sie trat in die offene Tür und winkte ihm zu, als er in den Wagen stieg und davonfuhr. Der Wind zerzauste ihr Haar. Sie streckte die Arme aus und holte tief Atem. Im Westen zogen Wolken über dem Fluß auf, die sich schneeweiß von dem tiefblauen Himmel abhoben. Sie hoffte, daß es nicht regnen würde, bevor Philip mit dem Kitt zurückkam.
Bei seiner Rückkehr am Nachmittag hatten sich die Wolken im Westen schwarz gefärbt. Die Sonne, die sie verdunkelten, umsäumte die hochaufgetürmten Massen mit purpurnen Rändern. Judith ging zur Tür und beobachtete Philip und Josh, die viele Dinge aus dem Wagen luden. Eifrig eilte Philip auf sie zu.
»Sieh einmal, was ich dir mitgebracht habe, Liebling! Gestern kam ein Boot aus Neuorleans an, und die Waren wurden auf der Werft von Purcell verkauft. Sieh doch nur her!«
Er breitete ein Stück feinster Seidengaze vor ihr aus, die so hauchdünn war, daß man beinahe gedruckte Schrift dadurch lesen konnte. »Kommt aus Paris, Judith. Es gibt hier in der Gegend nur sehr wenig Frauen, die ein solches Kleid tragen könnten. Angelique soll es für dich machen – Angelique, regardera!«
»Ach, Philip, wie herrlich!« Judith und Angelique nahmen den Stoff in die Hand und fühlten ihn. Auf den zart rosenfarbenen Untergrund waren kleine blaue Blumen gedruckt. Sie dankte ihm, fragte sich aber im stillen, was in aller Welt sie mit einem so feinen Kleid in einem Blockhaus anfangen sollte.
»Und sieh dir dies an! Rosenrote Bänder für den Besatz. Auf beiden Seiten haben sie Seidenglanz. Und hier ist ein Topf mit Pomade, um Ringellöckchen zu drehen. Der ist aus Neuorleans, und der Duft kommt von vielen Tausenden
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