Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
die Treppe hinauf. O Gott, dachte Corrie May, nun werden sie sich den ganzen Nachmittag lang in den Haaren liegen. Als sie nach einiger Zeit die gestopften Vorhänge nach oben trug, hörte sie Stimmen aus dem großen Schlafzimmer dringen. Sie konnte die Worte nicht unterscheiden, aber daß die beiden sich immer noch zankten, war leicht zu erraten. Sehr friedlich ist Mrs. Larne gerade nicht, dachte Corrie May; aber hoffentlich schlägt er sie nicht. Lieber Gott, bitte, gib, daß er sie nicht verprügelt. Was hatte er auch den alten Herrn grob anzufahren! Der Schrecken packte Corrie May. Das klang ja, als ob sie sich im nächsten Augenblick zerreißen wollten. Plötzlich stürzte Denis aus dem Schlafzimmer, knallte krachend die Tür hinter sich zu und lief die Treppe hinab. Von dem Vorderfenster der oberen Halle sah Corrie May, wie er sich auf ein Pferd warf und im gestreckten Galopp die breite Allee entlang davonsprengte. Ach, du liebe Seele, dachte sie, jetzt ist er auf und davon und wird sich betrinken und bis morgen früh nicht wiederkommen. Jetzt geht der Teufel los auf Ardeith! Auch glaubte sie, aus dem Schlafzimmer ungewisse Laute zu vernehmen. Sie war sich nicht ganz sicher, aber es stimmte wohl: Ann lag auf dem Bett und heulte vor Wut in die Kissen.
Es wurde schon dunkel, als Denis zurückkehrte. Gerade hing Corrie May in dem größten der Gästezimmer die neuen Gardinen auf, als sie ihn die Allee heraufreiten sah. Sein Pferd ging im Schritt, auch saß er aufrecht und sicher im Sattel. Betrunken war er nicht.
Sie hörte ihn die Treppe heraufsteigen und jenseits der Halle an die Tür des großen Schlafzimmers klopfen. Anns Stimme rief von innen: »Ja? Wer ist da?«
»Ich bin es, Denis!«
»Geh fort! Laß mich allein!«
Denis rasselte am Türgriff: »Liebling, sei kein Spielverderber! Schließe die Tür auf!«
»Nein, ich schließe nicht auf!«
»Um alles in der Welt, Ann, sei vernünftig! Komm! Laß mich eintreten!«
»Ich habe dir schon einmal gesagt, daß du fortgehen sollst!«
»Wenn du die Tür nicht aufschließt, breche ich sie ein!«
Corrie May zweifelte, ob er das fertig bekäme; diese schwere Tür einzustoßen, das überstieg eines Mannes Kräfte. Aber sie zitterte.
Ein paar Augenblicke lang herrschte Schweigen. Dann drehte sich der Schlüssel im Schloß, und die Tür knarrte leise auf.
»Also? Was gibt es nun?« wollte Ann wissen.
Denis lachte verhalten: »Sag mir, Honigkind, haben wir uns nicht lange genug gezankt?«
»Willst du dich bei meinem Vater dafür entschuldigen, daß du ihn so angeschrien hast?«
»Ich werde mich wieder mit ihm vertragen; aber das wollte ich dir nicht sagen. Ich wollte dir sagen, wie leid es mir tut, dich angeschrien zu haben. Ich liebe dich, Ann! Warum bringst du mich zur Raserei?«
Danach trat eine Pause ein. Dann waren undeutlich weitere Worte zu vernehmen; sie wurden geflüstert. Schließlich hörte Corrie May, wie die Tür sich leise schloß. Corrie May huschte zum Ausgang des Zimmers, in dem sie gearbeitet hatte, und spähte in die Halle hinaus: wirklich, die beiden waren in dem großen Schlafzimmer verschwunden; gerade wurde der Schlüssel von innen umgedreht. So mühelos und schnell vertrug man sich also! Wie sanft sie miteinander umgingen!
Gerade aß Corrie May auf der hinteren Galerie ihr Abendbrot, als das Ehepaar wieder die Treppe herniederstieg. Ann ließ Corrie May rufen und sagte ihr, daß Mrs. Maitland am nächsten Morgen den Rest der sommerlichen Gardinen aufhängen wolle; Corrie May könnte im kleinen Nähzimmer übernachten; so sparte sie sich den weiten Weg zur Stadt und wieder heraus. Corrie May verschlug es fast die Sprache, als sie Ann im Abendkleide vor sich stehen sah; so hatte sie die junge Frau nur selten erlebt. Denis und Ann wollten den Abend offenbar auswärts verbringen; Ann strahlte in einem cremefarbenen Seidenkleid, mit großen Rüschen aus Tüll rund um den Rock; Juwelen funkelten in ihrem Haar und an ihren Armen. Als Corrie May die nötigen Anweisungen erhalten hatte und sich mit einem Knicks verabschiedete, beobachtete sie gerade noch, wie Ann sich umdrehte und Denis hingerissen in die Augen blickte. Ann hielt ihren Arm ins Licht; die letzten Sonnenstrahlen lockten Funkelblitze aus dem Armband an ihrem Handgelenk: »Denis, ein so bezauberndes Ding habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Du bist schrecklich lieb!«
Denis lachte leise: »Du bist mir also nicht mehr böse?«
»O Denis! Ich schäme mich. Doch wenn du mir
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