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Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Titel: Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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machte er noch einen ganz jungen Eindruck wie Ann auch. Sie hatten beide einfach keine Ahnung, wie es wirklich im Leben zuging, keine blasse Ahnung! Sie dachte an die empörte Wut, die sie vor wenigen Minuten erst empfunden hatte; sie fühlte sich ein wenig schuldbewußt: so lange war sie schon in diesem großen Hause tätig – und hatte bisher keinen Augenblick daran gedacht, daß auch sie einen Glückwunsch darbringen könnte. Sie eilte die Allee hinunter und wartete, bis ein Baumwollkarren vorbeikam, der sie zur Stadt mitnahm.
    Daheim holte sie die Sparbüchse aus dem Versteck hervor und wog sie in der Hand. Noch nie hatte sie auch nur einen Penny herausgeschüttelt. Auch jetzt fiel es ihr schwer, ein Stückchen des Schutzwalls einzureißen, den sie gegen das Nichts errichtet hatte. Sie steckte das Kästchen nach den ersten Versuchen wieder an seinen Platz zurück. Ihr zitterten die Knie. Dann biß sie die Zähne zusammen und brachte es abermals ans Licht. Es war ja nicht abzuleugnen: Ann hat mir Arbeit verschafft, als ich schon verzweifeln wollte; ich muß ihr meine Dankbarkeit beweisen und ihr für das Neugeborene etwas Hübsches schenken!
    Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, drehte die Büchse um und schüttelte sie. Ein Penny und ein Nickel fielen heraus. Corrie May holte tief Atem und schüttelte weiter. Ein Zehner kam zum Vorschein, vier weitere Pennies, ein Nickel, dann ein Penny. Jede Münze, die ihr in den Schoß fiel, bereitete ihr bittere Pein. Doch sie schüttelte weiter, ohne auf den Schmerz zu achten. Sechs Pennies drängten sich einer nach dem anderen wie widerwillig durch den Schlitz. Dann sank ihre Hand herab. Sie war einfach nicht imstande, ihren Schatz noch mehr zu berauben. Zweiunddreißig Cent – dafür bekam man schon etwas!
    Sie steckte das Geld ein, machte sich auf den Weg zur Hauptstraße und betrat einigermaßen furchtsam ein Wäschegeschäft. Obgleich sie ein frischgeplättetes Kleid angezogen, ein wollenes Tuch umgeschlagen und ein Paar beschädigte Stiefelchen mit Gummizug an den Füßen trug, fühlte sie sich fehl am Platze. Der Verkäufer hinter dem Ladentisch war angelegentlich mit einer jungen Dame beschäftigt. Er warf Corrie May einen kurzen Blick zu und sagte: »Einen Augenblick!« – als wüßte er schon, daß von ihr kein großartiges Geschäft zu erwarten stand. Corrie May kannte die junge Dame; sie hatte sie schon oft auf Ardeith gesehen; es war Anns Freundin Sarah Purcell, ein zierliches Wesen mit sanfter Stimme, auf merkwürdige Weise anziehend, mit vielen winzigen Sommersprossen im Gesicht und gekrönt von einer Wolke prächtigen roten Haares. Als Sarah Purcell endlich damit fertig war, das passende Band zu einer Probe Seidenstoff auszusuchen, begleitete der Verkäufer sie zur Tür und wandte sich dann an Corrie May: »Und was wünschen Sie?«
    Sie erhob sich von dem Stuhl am Ladentisch, wo sie gesessen hatte: »Ich möchte etwas Flanell haben, schönen weichen Flanell für ein Kinderhemdchen.«
    Der Mann zeigte ihr, was sie wünschte. Der Stoff zu einem Hemdchen kostete dreiundzwanzig Cent, und eine Docke Seidengarn zum Besticken kam auf acht Cent. Corrie May behielt also noch einen Penny übrig; sie steckte ihn in ihre Tasche zurück; er kam wieder in die Sparbüchse.
    Als sie heimgekehrt war, wusch sie sich sorgfältig die Hände, breitete ein sauberes Handtuch über ihr Bett, damit der Flanellstoff ja sauber bliebe, wenn sie das Hemdchen zuschnitt. Sie bat ihre Mutter, das Abendessen zu bereiten, und war nicht einmal willens, auch nur ein Stückchen Holz aufs Feuer zu legen, um sich nicht die Hände schmutzig und ihre Näharbeit staubig zu machen. Sie war aufmerksam wie noch nie bei der Sache, fügte die Säume aus feinsten Stichen. Selten hatte ihr eine Arbeit eine so merkwürdig tiefe Freude bereitet. Langsam entstand ein liebenswürdiges kleines Werk. Die Stickerei, mit welcher Corrie May die Kanten einfaßte, mußte besonders fest und glatt gefertigt werden, denn ein Knötchen schon konnte die Haut des Kindes wundscheuern. Corrie May war den ganzen Tag tätig, sie arbeitete, bis ihr die Augen schmerzten. Als die Dunkelheit hereinbrach, bekam sie Kopfschmerzen und ließ die Nadel sinken. Das Licht des Herdfeuers glomm nur noch matt; sie mußte aufhören, sonst wurde die Stickerei schließlich ungenau.
    Am nächsten Morgen erhob sich Corrie May schon früh und machte sich von neuem an die Arbeit. Sie zwang sich zu solcher Sorgfalt, daß die Näherei nur

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