Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
daß ich andere Männer das Land verteidigen lasse und selbst zu Hause herumsitze. Unser Oberaufseher ist durchaus imstande, die Pflanzung eine Zeitlang allein zu verwalten.«
Ann hielt ihn fest umschlungen; Denis zog sein Taschentuch hervor und trocknete ihr die Augen. Sie bat ihn um Verzeihung: sie wäre gewiß kein Feigling; wie stolz würde der kleine Denis auf seinen Vater sein, wenn er erst größer und verständiger geworden wäre. Der große Denis streichelte ihr Haar und küßte sie und flüsterte ihr zu, daß er nur für eine kleine Weile von Hause fortgehen würde; die Frauen müßten tapfer sein in solchen Zeiten. Sie hob ihr Haupt und blickte ihn an; wie groß und vornehm er aussah; sie glühte unter Tränen ihm entgegen. Aus dem Saal nebenbei hörte sie schwere Stiefel stampfen. Die jungen Offiziere exerzierten um den Flügel herum und sangen dabei:
»Wenn das Zuckerrohr geschnitten ist,
dann sind wir wieder da,
ach, dann sind wir wieder da,
ja, dann sind wir wieder da.
Ist das Zuckerrohr geschnitten,
sind wir längst schon wieder da;
bringen uns zu unsrem Glück
einen Yankee mit am Strick,
und das Maultier, und das Maultier
geht auf Urlaub – «
Ann begann zu lachen. Es fiel ihr ein, wie blendend Denis in Uniform wirken würde. Sie dankte dem Himmel, daß Monsieur de Launay durch einen anderen Auftrag in Dalroy festgehalten worden war; nun würde er Denis im Grau der Konföderierten malen; der kleine Denis sollte später nicht zu bezweifeln brauchen, daß sein Vater ein Soldat gewesen und wie stolz er ausgesehen hatte.
Anns Vater stand schon bei der Armee. Obgleich Oberst Sheramy den Austritt aus der Union stets bekämpft hatte, war er doch nicht willens gewesen, gegen die Heimat zu kämpfen. Als der Krieg nicht mehr aufzuhalten war, hatte er auf seinen Rang und sein Kommando in der Armee der Vereinigten Staaten verzichtet. Prompt wurde er daraufhin zum Obersten im neuen Heer der Konföderierten ernannt und rückte ein; Jerry blieb daheim, die Pflanzung zu verwalten, solange der Vater im Felde weilte. Ann sagte sich im stillen, während sie immer noch an Denis' Schulter lehnte: nicht jede Frau genießt den Vorzug, sowohl Tochter als auch Frau eines Soldaten und darüber hinaus sogar noch die Mutter eines künftigen Kriegers zu sein; sie war wirklich drauf und dran, das Beste, was sie besaß, für das Vaterland hinzugeben. Sie küßte Denis noch einmal: wie in diesem Augenblick so brennend hatte sie ihn noch nie geliebt, und sie flüsterte es ihm zu. Dann aber machte sie sich eilig los und rief Napoleon herbei. Denis wollte die große Nachricht jetzt auch den anderen überbringen. Das durfte mit nichts anderem als Champagner gefeiert werden.
Sechstes Kapitel
I
S ag mal, Mama, kann man heute einen Schal tragen, oder wird es zu warm sein?«
Corrie Mays Mutter stand am Herd und kochte Kaffee. »Mir läge nichts daran, einen Schal zu tragen«, sagte sie. Sie wischte sich mit dem Schürzenzipfel den Schweiß von der Stirn. »Schon am Vormittag wird es furchtbar heiß werden.«
»Ja, aber das Kleid ist in den Armlöchern schon ein bißchen ausgerissen.« Corrie May wandte dem Spiegel an der Küchenwand den Rücken zu, drehte sich aber beinahe den Kopf aus den Schultern, um festzustellen, ob der Schaden unter den Achseln zu erkennen war. Der blaugemusterte Stoff des Kleides war aus der langfaserigen Baumwolle des Mississippi-Deltas gewoben und glänzte wie Seide. Corrie May hatte das Kleid von Ann geschenkt bekommen und trug es über einem alten Reifrockgestell, das ebenfalls von Ann stammte. Die Stangen des Reifrocks waren an einigen Stellen schon gebrochen; Corrie May hatte die beschädigten Stäbchen mit Schnüren wieder zusammengeflickt; man merkte es unter dem Rocke nur, wenn man genauer hinsah. Corrie May wußte längst, daß ihr Anns Kleider in den Hüften stets zu eng waren; sie trug daher eine breite Schärpe um die Taille; so blieb der Schlitz, in dem der Gürtel auseinanderklaffte, einigermaßen verborgen. Aber die ausgerissenen Schultersäume waren nicht so leicht zu verstecken. »Ich habe eben breitere Schultern als Mrs. Larne«, gab sie mißmutig zu.
»Du hast mehr Muskeln als sie«, meinte Mrs. Upjohn. »Solche Damen, die niemals richtig gearbeitet haben, bleiben schmal in den Schultern. Trink aber lieber noch 'ne Tasse Kaffee, bevor du fortgehst.«
Corrie May nahm ihrer Mutter die Tasse ab, blieb aber vor dem Spiegel stehen und betrachtete sich weiter. Sie hatte sich für die Parade
Weitere Kostenlose Bücher