Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
bezaubernd, und Ann geriet fast außer sich vor Entzücken. Sie stellte sich manchmal heimlich vor, wie es sein würde, wenn sie alt geworden wäre; als zierliche kleine Dame mit weißen Locken und einem Spitzenhäubchen darüber würde sie dann die große Treppe herniedersteigen und gelegentlich ihren Enkelkindern berichten: »Im Jahre achtzehnhunderteinundsechzig sah ich aus wie auf diesem Bilde, meine Lieben.« Der Gedanke erheiterte sie, blieb aber in ihr haften; sie bat Denis, sich auch malen zu lassen, bevor Monsieur de Launay wieder nach New Orleans zurückreiste. Denis entgegnete, er wäre zu beschäftigt; er könne jetzt die Zeit nicht erübrigen, dem Maler Modell zu stehen, versprach aber, es zu bedenken, wenn sich erst das politische Durcheinander ein wenig geglättet hätte, dann dürfte man sich vielleicht ein wenig Muße gönnen.
Ganz plötzlich dann, so überraschend wie uns eine angeschlagene Tasse in Scherben aus den Fingern fällt, wurde Ann von der Erkenntnis überfallen, daß Krieg vor der Türe stand.
Sie konnte sich nicht mehr darauf besinnen, wann das Wort ›Krieg‹ zum ersten Male gefallen war. Es kam ihr vor, als hätte sie noch gestern ihr Leben wie stets zuvor geführt; heute flatterten mit einem Male Fahnen von allen Häusern, Truppen marschierten durch die Straßen, und die Kapellen spielten ›Dixie‹ von früh bis spät. Es war schrecklich aufregend. Von allen Ecken und Enden rasselten patriotische Ansprachen. Der neue Zustand entwickelte sich so schnell und überwältigend, daß man sich kaum noch der Zeit entsinnen konnte, in der es keinen Krieg gegeben hatte, sich an ihm zu begeistern, jener Zeit, in welcher das Dasein der grandiosen Abenteuer der Rosen, der kriegerischen Musik, der blitzenden Paraden, der kühnen Rebellen und der hundsföttischen Yankees vollständig ermangelt hatte.
Ann fühlte sich von den Ereignissen derart in Anspruch genommen, daß alles Vergangene ihr flach und blöde erschien. Dabei war es erst ein paar Monate her, so erinnerte sie sich, daß sie geglaubt hatte, ihr sei nichts Erregendes mehr vorbestimmt. Sie gab den Offizieren des Rekrutenlagers bei Dalroy lustige Gesellschaften; sie war dabei, wenn es galt, vaterländische Vereine zu gründen, die für die Soldaten Strümpfe und Halstücher strickten; während dieser etwas langweiligen Beschäftigung prägten sich die hilfreich versammelten Damen die neuesten Soldatenlieder ein. Ein nie so erlebtes Vergnügen bereitete es, gemeinsam loszuschmettern:
»… Texas, Florida verwegen
zogen ihre blanken Degen;
wollten nichts von Leuten wissen,
die Kattun nicht sehr vermissen
und nicht ahnen, wo er wächst.«
Anns Hände flogen vor Begeisterung; sie konnte kaum noch die Tasten anschlagen. Die jungen Offiziere, die in dem Lager bei Dalroy ausgebildet wurden, erschienen auf Ardeith, prächtig angetan mit goldenen Knöpfen an ihren neuen, grauen Uniformen; sie schwenkten die Hüte so tief und ritterlich, daß die Krempen den Boden streiften. Im großen Empfangssaal des Hauses wurde getanzt; und die jungen Herren verschwiegen der Dame des Hauses und ihren Freundinnen keineswegs, als welch große Ehre sie es betrachteten, für so viel Schönheit, Anmut und Keuschheit kämpfen zu dürfen. Sie saßen auf den Stufen von Ardeith und knüpften sich Stricke an die Kolben ihrer Gewehre; sie wollten sich jeder einen Yankee fangen und am Strick nach Hause führen; der sollte dann ins Geschirr gespannt werden und die Zuckerpresse drehen; und das Maultier hätte Urlaub. Der Krieg würde natürlich nicht lange dauern; der Norden verpflichtete seine Soldaten nur für drei Monate; die Südstaaten zogen ihre Männer für die Dauer eines Jahres ein, natürlich nur, um den Norden zu übertrumpfen; denn im Herbst, wenn das Zuckerrohr geschnitten wird und in die Presse geht, dann wären sie alle längst daheim, frei und siegreich und beladen mit Ruhm.
An einem Nachmittag kam Denis nach Hause und zog sie beiseite: »Ich habe mich freiwillig gemeldet, Ann!«
Stolz und Furcht, seltsam vermengt, stürzten über sie her wie eine Flut. Sie brach in Tränen aus, warf ihm ihre Arme um die Schultern und schluchzte, daß sie ohne ihn nicht leben könne. Sie standen am Fuß der großen Treppe in der Halle. Im Saal sangen die Männer mit kräftigen Stimmen, Sarah Purcell spielte auf dem Flügel die Begleitung dazu. Aber trotz des Lärms vernahm sie deutlich Denis' Stimme an ihrem Ohr: »Ich mußte mich melden, Ann! Du kannst nicht wollen,
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