Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
Leeren; bei jedem Schritt fühlte sie mit dem Fuß voraus, damit sie nicht über eine liegengebliebene Kiste oder einen vergessenen Schubkarren stolperte. Die große Stille bedrückte sie, als wäre ihr eine Last aufgebürdet. Plötzlich vernahm sie, wie im Dunkeln etwas raschelte. Ihr Fuß stockte. War es eine Ratte oder ein Haufen Abfall, der zusammensackte? Sie flüsterte mit ersterbender Stimme ins Dunkel: »Budge –?«
»Sch –!« kam die Antwort.
Jetzt nahm sie ihn wahr, einen ungewissen Schatten; er kroch auf Bauch und Ellbogen heran. Er wisperte: »Ja, hier bin ich. Ist alles in Ordnung?«
»Ja! Da sind Rock und Hosen. Zieh sie an!« wisperte sie zurück und kniete nieder.
Budge küßte ihr Handgelenk, als sie ihm die Kleider reichte. Corrie May huschte an die nächste Hausecke, um Wache zu halten, während er sich umzog. Aber es regte sich nichts Verdächtiges; nur Schweigen und Dunkelheit walteten ringsumher. Budge tauchte schattenhaft auf: »Ich bin fertig!« sagte er mit verhaltener Stimme.
Sie machten sich auf den Weg. Budge gab ihr leise zu verstehen, daß es besser war, sich an die Hintergassen zu halten und die Landungsbrücken zu vermeiden; den Uferdamm wollten sie erst erklimmen, wenn sie die Stadt weit hinter sich gelassen hatten. Sie wanderten schweigend dahin. Sie waren sich des Ernstes ihres Unternehmens von Anfang an bewußt gewesen; nun verschlug es ihnen die Sprache.
Sie umgingen den Park und die vornehmeren Wohnbezirke in weitem Bogen. Die dunklen Nebenstraßen waren holprig, und mehr als einmal stolperte Corrie May über unsichtbare Hindernisse. Budge stützte sie zärtlich. Nur wenige Menschen kreuzten ihren Weg; ihre Gesichter waren nicht zu erkennen. Sie beachteten die dunklen Gestalten nicht und wurden nicht beachtet. Es ging sich schwer. Einmal hielten sie inne, um sich den Sand aus den Schuhen zu schütten.
Corrie May versuchte den Vorschlag:
»Wir sind wohl an der Stadt vorbei. Wenn wir auf der Straße am Fluß weitergehen, kommen wir viel schneller vorwärts.«
»Stimmt!« erwiderte Budge. »Wie spät mag's inzwischen geworden sein?«
»Es wird wohl schon auf Mitternacht gehen.«
»Bist du müde?«
»Gar nicht!« lehnte sie ab, obgleich ihre Knie und Waden schon seit einer Weile schmerzten.
Er nahm sie bei der Hand und überquerte mit ihr ein Feld, das sich dunkel zu ihrer Linken erstreckte; bald tauchten die sanften Windungen der Uferstraße auf, von hohen Eichen gesäumt; sie kletterten die Böschung hinauf und schritten nun schneller dahin. Auf der Uferstraße herrschte selbst um diese Nachtzeit noch Verkehr. Viele der schönen, stolzen Häuser auf den Pflanzungen boten sich noch erleuchtet dar. Wieviel Hunderte von Lichtern hinter all den hohen Fenstern wohl verknistern mochten! Welche Verschwendung! Die Morgenfrühe spendete doch Licht genug für jederlei Verrichtung.
Wieder schwoll Trommelwirbel von Pferdehufen hinter ihnen heran. Budge zog Corrie May hinter einen Baum. Fünf oder sechs Equipagen rollten dicht beieinander an den ängstlich Spähenden vorbei. Die Damen und Herren unterhielten sich laut und unter schallendem Gelächter von einem Wagen zum anderen. Die Stimmen klangen unbeherrscht; die Gesellschaft schien mehr getrunken zu haben, als ihr zuträglich war. Manche der jungen Herren trugen Armeeuniform. Die Damen prunkten im matten Sternenlicht mit entblößten Armen und Busen; Blumen glimmten in ihrem Haar. Corrie May ließ die grandiose Kavalkade vorüberwallen; sie erzitterte; wenn nun einer dieser Offiziere Budge erkannte! Aber die waren viel zu erheitert und mit sich selbst beschäftigt, als daß sie die beiden schattenhaften Gestalten am Straßenrand überhaupt bemerkten. In der letzten offenen Kutsche saß ein junger Offizier auf dem Rücksitz; er zog, gerade als der Wagen vorüberglitt, die Dame neben sich in seine Arme und küßte sie.
»Weiß Gott«, sagte Budge, »diese Sorte von Krieg lasse ich mir gefallen.«
»Es ist ja ihr Krieg. Mögen sie ihn genießen, wie sie wollen!« erwiderte Corrie May bitter.
Durch die Wolken von Staub, welche die Wagen hinter sich her schleppten, trotteten sie weiter.
»Wir sollten jetzt lieber am Damm entlanggehen. Die Plätze, an denen die Dampfer vertäut liegen, müssen wir schon hinter uns haben. Hier auf der Uferstraße wird mir der Verkehr zu stark!« Die Uniformen hatten Budge unruhig werden lassen.
»Das wird das beste sein!« stimmte Corrie May zu.
Der Weg von der Straße zum Flußdeich kam
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