Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
schleppt eine Bibel mit sich herum!« Er warf sich herum. »Sehen Sie sich das an, Sergeant! Sein Soldbuch!« Er stieß Budge vor die Brust: »Soldat Budge Foster also! Du dachtest, du könntest dir einfach einen anderen Rock anziehen und dich nach Norden davonmachen, was?«
Corrie fühlte ihre Knie unter sich nachgeben. Was Budge tat oder sagte, drang nicht mehr bis in ihr Bewußtsein. Sie warf sich ins Gras des Abhangs, preßte ihr Gesicht in die kühlen, feuchten Kräuter und begann zu schreien, ohne es eigentlich zu wollen oder zu wissen; sie schrie nicht selbst – es schrie aus ihr. Sie war zu Tode erschöpft; sie gab sich geschlagen. Mitten in ihrer gräßlichen Verzweiflung mußte sie daran denken, welch ein Jammer es war, nicht lesen zu können; wenn Budge gewußt hätte, was die Papiere enthielten und wie sie ihn verrieten – er hätte sie gewiß mit seinem Uniformrock im Fluß verschwinden lassen.
Einer der Soldaten stieß sie mit dem Fuße an:
»Mach, daß du auf die Beine kommst, und hör auf zu brüllen, oder ich muß dir das Maul verbinden. Nehmen wir sie mit, Sergeant?«
»Selbstverständlich! Beihilfe zur Desertation –!«
Der Soldat riß Corrie May am Arme hoch und stellte sie auf die Füße. Budge schlug noch immer um sich wie ein Wahnsinniger. Er stieß und boxte, kratzte und biß. Aber was konnte er ausrichten! Einer der Soldaten knallte ihm den Kolben seines Gewehrs über den Schädel, und Budge krachte zusammen wie ein gefällter Ochs. Corrie May schrie gellend auf, riß sich los und warf sich über ihren verlorenen Verlobten. Der Soldat zog sie unsanft wieder hoch.
»Stell dich nicht an. Er ist nicht tot.«
Sie warfen Budge über eines Pferdes Widerrist. Kopf und Arme baumelten kraftlos herab. Corrie May wurde auf ein anderes Pferd gehoben; der Reiter schwang sich hinter ihr in den Sattel und hielt sie fest. Sie hatte noch niemals zuvor auf einem Pferd gesessen. Sie rutschte hierhin und dorthin; die Beine schmerzten schon nach kurzer Zeit furchtbar; spitze Stiche schossen ihr von den Knien bis in die Hüften. Der Ritt dünkte sie endlos. Endlich klapperten die Hufe der Pferde wieder über das Steinpflaster der Stadt.
Vor dem Gefängnis hielten die Reiter still. Als der Soldat sich aus dem Sattel schwang, sank Corrie May schwer zu Boden wie ein Sack voll Mehl. Das erste Dämmern stieg schon am östlichen Himmel auf. Nach einer Weile kehrte der Soldat mit dem Gefängnisaufseher zurück; die Männer richteten das halb ohnmächtige Mädchen auf und trugen es ins Innere des grauen, düsteren Gebäudes.
Die Tür einer Zelle öffnete sich. Corrie May wurde hineingeschoben, sie fiel zu Boden und blieb liegen. Als sie sich nach unbestimmt langer Zeit auf den Rücken drehte, erblickte sie über sich einen Sonnenstrahl, der durch die eisernen Gitter des kleinen Fensters fiel, hoch über ihr an der rauhen Wand. Hatte sie geschlafen, war sie ohnmächtig gewesen – sie wußte es nicht.
Die Tage flossen seltsam nebelhaft vorbei. Schon bald verlor sie jede Vorstellung, wie oft schon der Sonnenstrahl durch das Gitterloch ihrer Zelle einen neuen Tag verkündet hatte. Dann erschienen zwei Polizisten und brachten sie in einen großen Saal, worin viele Leute versammelt waren; auf hohem Sitz thronte ein alter, strenger Richter. Man warf ihr vor, sie hätte einem Deserteur geholfen.
Man redete mit lauten Stimmen auf sie ein. Sie begriff nicht viel von all dem Aufwand. Und dann wurde sie wieder in ihre Zelle zurückgebracht.
Manchmal erschien ihre Mutter, um sie zu besuchen. Stets brach die alte Frau in Tränen aus, wenn sie ihre Tochter vor sich sah. Corrie May beachtete es kaum. Sie verdämmerte die Tage in halber Betäubung. Aber schließlich raffte sie doch ihren ganzen Mut zusammen und erkundigte sich nach Budge.
Da begann ihre Mutter noch lauter zu weinen als sonst. Mühselig brachte sie schließlich die elenden Worte zustande: »Sie haben ihn an eine Wand gestellt und erschossen.«
Denn auf Desertieren steht der Tod!
Achtes Kapitel
I
A nn wunderte sich anfangs, warum Corrie May gar nichts weiter von sich hören ließ. Sie vermutete zunächst, daß ihre fleißige und stets bescheidene Näherin krank geworden wäre; man hätte jemand hinschicken müssen, der sich nach ihrem Ergehen erkundigte. Aber der Rattletrap Square, in dessen Nähe Corrie May zu Hause war, hätte ebensogut auf einem anderen Stern liegen können; Ann hatte ihn noch nie betreten. In der Zeitung las sie mit ebensoviel
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