Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
hätte; sie hatte seinen Brief erst wenige Stunden zuvor erhalten.
»Er befindet sich also irgendwo in Gefangenschaft?« fragte Ann, nachdem sie lange unbeweglich zugehört hatte.
»Habe ich's noch nicht erzählt?« sagte Sarah. Sie blickte keine der anderen Frauen dabei an; ihr Mund bebte unmerklich. »Er liegt in Natchez in einem Hospital.«
»Hat er zu sehr hungern müssen –?« wollte Ann wissen. Ihre Stimme klang merkwürdig dünn.
Sarah nickte: »Ja – er hat wohl Skorbut oder etwas Ähnliches – « Sie blickte zum Fenster hinaus. »Ich verstehe nicht viel davon.«
Die Stille im Raum wurde beinahe fühlbar. Ann wagte nicht, die alte Mrs. Larne anzuschauen. Jerry – dachte sie – Denis, einer nach dem andern, verkrüppelt, verhungert, verseucht –! Wer diesen Krieg angezettelt hat, der soll in der Hölle braten, das wünsche ich ihm! Durchs Fenster sah sie in der Ferne einen der Gardenienbüsche blühen, den sie über ihr dort vergrabenes Kaffee-Service gepflanzt hatte; es stammte von Frances Larne und war eines ihrer Hochzeitsgeschenke – –. Cynthia nahm die Unterhaltung wieder auf; sie sagte langsam: »Ich bin froh, daß die Greuel von Vicksburg erst bekannt wurden, nachdem die Stadt schon erobert und alles vorbei war.«
»Manchmal kommt mir der Gedanke«, sagte Sarah, »daß die Männer, die rechtzeitig den Heldentod starben wie Denis, glücklicher zu schätzen sind als jene, die den furchtbaren Endkampf durchzufechten hatten.«
»Sie haben Ratten gegessen«, sagte Cynthia.
»Sie haben alle Hunde und Pferde aufgegessen«, fuhr Sarah fort. »Sie haben ein Maultier, das verendet war, wieder ausgegraben und gegessen.«
»Sie haben Monate hindurch immer schrecklicher gehungert«, nahm Cynthia den üblen Faden wieder auf. »Ehe sie anfingen, ihre Pferde zu verzehren, hatten sie schon längere Zeit nichts weiter mehr zu essen bekommen als ein Stückchen Brot und eine Scheibe Schinken am Tag.«
Sarah vermochte nicht einzuhalten: »Als die Reste der Garnison sich ergaben und die Männer angetreten waren, um in die Gefangenschaft zu marschieren, stürzten viele ohnmächtig aus Reih und Glied.«
»Wollt ihr beide, bitte, das Zimmer verlassen!« ließ Mrs. Larne sich plötzlich vernehmen. Sarah und Cynthia schraken zusammen. Die alte Mrs. Larne war so schweigsam gewesen, daß die übrigen ihre Anwesenheit überhaupt nicht mehr wahrgenommen hatten.
Doch Ann war schon davongestürzt und hatte die Tür zu ihrem Schlafzimmer hinter sich ins Schloß geschlagen. Frances blickte den andern beiden in die erschrocken aufgerissenen Augen. Sie rief gedämpft, aber sehr scharf:
»Habt ihr denn gar kein Mitleid?«
»Lieber Himmel, ich habe wohl den Verstand verloren!« murmelte Cynthia, und Sarah meinte bestürzt: »Ich dachte, sie wüßte es längst; jeder weiß es doch!«
»Wir haben es wohl alle gewußt. Deshalb braucht man es nicht breitzutreten.«
»Bitte, verzeih mir!« bettelte Cynthia. »Es tut mir so leid. Aber ich kann gar nichts weiter mehr denken als an Vicksburg – immerfort, womit auch immer ich beschäftigt bin; ich komme nicht davon los. Ich hoffe nur, daß Denis schon begraben war, als sie anfingen, die Ratten zu verspeisen.«
»Willst du endlich still sein!« schrie ihre Mutter.
Cynthia lief zu ihr hin. »Liebe Mutter, ich bin ja so dumm! Verzeih mir, bitte!« Sie brach in Tränen aus. Zum allerersten Male erlebte sie in diesem Augenblick, daß auch ihre Mutter die Selbstbeherrschung verlieren konnte; hatte doch sogar die Kunde, daß Denis gefallen war, ihr nur ein paar stille Tränen entlockt. Cynthia warf ihr leidenschaftlich die Arme um den Nacken: »Ich schäme mich schrecklich. Oh, bitte, sei mir nicht böse! Sicher ist er schon vorher gestorben. Du weißt doch, wie Denis geartet war: immer allen anderen voran! Ich bin sicher, daß er schon früh gefallen ist!«
Eine Weile schwiegen sie alle still. Frances hatte ihren Kopf an Cynthias Schulter vergraben. Sarah stand, ihren Rücken dem Zimmer zugekehrt, und blickte regungslos aus dem Fenster.
Schließlich richtete Frances sich wieder auf: »Ich will mich um Ann kümmern.«
»Dürfen wir das nicht tun?« fragte Cynthia schuldbewußt.
»Nein, ich glaube, ich kann das besser. Aber, bitte, denkt in Zukunft daran, ihr beiden, daß sie sich in einem sehr anfälligen Zustand befindet.« Frances hatte ihre Hand schon auf der Türklinke. »Und redet nie mehr von Vicksburg, wenn sie in der Nähe ist!«
Mrs. Larne betrat leise das
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