Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
sonst werde ich wahnsinnig.«
»Glaube nicht, daß du die einzige bist, der es so geht!« Er stieß die Worte sonderbar wild hervor. Dann fügte er gedämpft hinzu, als sei er über sich selbst erschrocken und hätte zuviel verraten:
»Ich hatte nicht die Absicht, dir eine Strafpredigt zu halten. Ich wollte dich nur warnen. Und obendrein …«
»Ja?«
»Sei doch besonders nett zu Sarah, bitte! Sie ist gar nicht damit einverstanden, daß ich fortgehe.«
»Wie kann sie damit einverstanden sein! Auch ich vermag nicht einzusehen, warum du dich gemeldet hast. Wenn doch Denis genug Verstand besessen hätte, den Krieg für sich selber sorgen zu lassen. Bei Vater war es etwas anderes; er gehörte schon zur Armee und hat in Mexiko gefochten – aber du und Denis, was habt ihr eigentlich bei den Soldaten zu suchen?« Sie stieß die Worte in tiefer Erregung hervor; dies war es ja, was sie in den vergangenen Wochen Denis zu bekennen sich nicht getraut hatte. »Warum hat man sonst Männer wie dich und Denis vom Heeresdienst befreit? Man will nicht all die Leute umkommen lassen, die wirklich Kultur haben und – Ideale – und, ach, verstehst du mich nicht?«
»Das Schicksal läßt sich doch nicht aufhalten, meine liebe Schwester«, erwiderte Jerry trocken. »Außerdem – es bleibt einem nichts anderes übrig. Ich kann es dir nicht erklären. Laß uns wieder hineingehen!«
Ann erhob sich widerstrebend.
Es wurde vier Uhr in der Frühe, ehe sich die letzten Gäste verabschiedeten. Denis brachte sie vor die Tür und wartete, bis ihre Wagen davonrollten. Dann kehrte er zu Ann in die Halle zurück. Er schloß sie in seine Arme.
»Es war ein wunderschöner Abend, Liebling!«
»Hat es dir wirklich Spaß gemacht?«
Sie wollte es noch einmal bestätigt hören.
»Spaß ist kein Ausdruck dafür. Ich habe eine so gelungene Gesellschaft noch nie erlebt. Sieh dir nur an, wie es hier aussieht.«
Sie warf einen Blick auf die vergnügte Unordnung, die ringsumher herrschte.
»Die Mädchen räumen schon auf.«
»Bist du müde?«
»Schon mehr tot!« erwiderte sie lachend.
Denis ahnte nicht, daß sie in diesem Augenblick ihre Hände zu Fäusten zusammenkrampfte und sich Mühe geben mußte, sie in den Falten ihrer grünen Samtrobe zu verstecken; sie hätte schreien mögen. Anscheinend nichts als müde fuhr sie fort: »Die Gesellschaft hat mir einige Mühe gemacht – «
»Ich weiß es, Liebste. Ich bin dir viel dankbarer, als du dir vorstellen kannst. Komm, wir wollen zu Bett gehen.«
»Ich bin schrecklich schläfrig«, murmelte sie.
»Laß mich dich nach oben tragen. Leg mir deine Arme um den Nacken!«
»Kannst du mich noch tragen?«
»Versuch's nur!«
Sie lachte. Denis hob sie auf seine Arme. »Wie bringt ihr es bloß fertig, euch mit so vielen Röcken überhaupt fortzubewegen?« rief er, als ihre Schleppe sich über seinen Armen bauschte. Er fügte hinzu: »Du sahst bezaubernd aus heute abend!« Sie schmiegte sich an ihn; er stieg mit ihr die Wendeltreppe hinauf. Als er die oberste Stufe hinter sich hatte, hielt er inne; sie hob ihren Mund zu ihm auf, ihn zu küssen; er drückte sie leidenschaftlich an sein Herz, ihre Lippen trafen sich.
So wollte sie sich für immer seiner erinnern –! Wie er sie auf seinen Armen die Treppen hinauftrug zu ihrer letzten gemeinsamen Nacht! So strahlend und glühend vor Kraft und Zärtlichkeit! So wollte sie ihn im Gedächtnis behalten; dieser lebensvolle Abglanz seines Wesens bot sich ihr als niemals wandelbare Zuflucht an. Bald schon bedurfte sie einer solchen schützenden Zuflucht, denn Vicksburg wurde nach harter Belagerung von den Yankees erobert. Denis fiel in den letzten Tagen des Kampfes.
II
A ls Ann von der bitteren Nachricht erreicht wurde, entsetzte sie sich nicht mehr sehr. Dichter nur wurde sie von der schmerzhaften Einsamkeit umschlossen, die um sie her gewachsen war, seit er Abschied genommen hatte. Sie hatte wie auf einer Insel gelebt; seit sich der Ring um Vicksburg geschlossen hatte, drangen nur noch vage Gerüchte zu Ann nach Ardeith.
Nun hatte sie also Denis verloren. Denis, der sich zwischen sie und all das andere stellen sollte, wovon Kenntnis zu nehmen sie nicht gewillt gewesen war. Sie fühlte sich im Stich gelassen; Angst kroch in ihr hoch. Sie hatte ein Kind geboren, und ein zweites würde folgen. Sie fühlte sich nicht stark genug, ihren Kindern den Schutz zu gewähren, dessen sie bedurften. Die Welt schien dem Irrsinn verfallen und jagte ihr täglich neue
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