Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
ließ ihre Augen über das schöne Holzwerk gleiten. In solchen Spiralen schwebte auch das Leben aus dem Vergangenen ins Zukünftige, mochte auch die Spirale von den Hufen der Eroberer gezeichnet sein.
Doch was Ann sich vorgenommen, war nicht so leicht gehalten, wie es beschlossen worden war. Der Krieg schleppte sich weiter und weiter; der Friede war vergessen; Krieg war und würde sein. Ann sprach selten davon; zur Gewohnheit wurde ihr die Schweigsamkeit. Sie verrichtete, was zu verrichten war, sorgte für ihr Kind und gab sich Mühe, bei Bertha in die Schule zu gehen, um die wichtigeren Hausarbeiten zu erlernen; denn drei Dienstboten waren nicht einmal imstande, reichten nicht annähernd aus, auch nur dafür zu sorgen, daß überall im Hause so viel Staub gewischt wurde, wie es nötig war. Anns Ungeschicklichkeiten boten Bertha Anlaß zu so unerschöpflichem Ärger, daß Ann ihrer selbst überdrüssig wurde. Was bin ich doch für ein unfähiges Schaf! sagte sie sich immer wieder. Doch selbst dies ließ sie nicht hörbar werden; auch über die trostlosen Verhältnisse sonst, die überall rauchenden Ruinen, verlor sie kein Wort. Ein einziger wenigstens im Haus hatte den Anschein aufrechtzuerhalten, daß er den Mut noch nicht verloren hätte. Wenn das Grauen nur endlich aufhören wollte! Aber es beharrte zähe peinigend, sog in seinen widerlichen Schlund die Männer fort; sie brachten sich um, sie töteten sich, bis Ann noch tief in ihren Träumen von der fürchterlichen Vorstellung verfolgt wurde, daß sogar die Erde unter ihr vor Wut erbebte.
Die anderen priesen Anns Tapferkeit. Sie ließ sie bei dem Glauben; niemals und keinem einzigen gegenüber gab sie zu, daß sie des Nachts zuweilen mit wildem Aufschrei erwachte: Fetzen von zerrissenen Männern waren um sie her durch die Luft gesaust im Traum; sie spürte den Blutdurst der Kämpfenden und ekelte sich maßlos; und immer wieder erschienen ihr im Schlaf die Bäche von Shiloh, wie sie Blut statt Wasser führten. Es ahnte niemand, wie sie in der Mitte der Nacht in ihrem Bette aufrecht saß, die Hände an die Schläfen preßte und ins Dunkel stöhnte:
»Oh, großer Gott, ich flehe dich an, gebiete ihnen endlich Einhalt! Gib ihnen alles, was sie haben wollen, aber laß sie endlich innehalten, endlich innehalten, endlich!«
Neuntes Kapitel
I
C orrie May stand am Hafen und kaute an einer Banane, die sie von einem Fahrzeug des Heeres gestohlen hatte; die Sonne brannte ihr heiß aufs Haar. Die Sonne tat ihr wohl nach der langen Zeit im Gefängnis, und der Lärm bei den Landungsbrücken tat ihr wohl und die sonnenwarmen Bretter unter ihren Füßen, die Schuh und Strümpfe längst entbehren mußten, und der kühle Wind vom Strom fächelte so angenehm ihr Haar. Sie fühlte sich gesund und kräftig; zwar waren ihre Kleider dicht daran, auseinanderzufallen, und wenn sie etwas essen wollte, so blieb ihr nichts weiter übrig, als irgendwo ein paar Bananen zu stibitzen; aber Angst – nein, Angst hatte sie nicht! Der Krieg war vorbei; nun würde alles anders werden, sie wußte nicht, was ihr vorbestimmt war; doch wie auch immer es aussähe, sie würde es willkommen heißen!
Die Zeit im Gefängnis war ihr schrecklich schwergefallen. Die Mahlzeiten, die man ihr in den Blechnapf geschlagen, waren aus widerlichen Abfällen zusammengebraut; ihre Mitgefangenen hatte sie als eine seltsame Rotte kennengelernt; die meisten saßen im Loch, weil sie sich öffentlich betrunken hatten, oder weil sie Dirnen waren, die sich dabei hatten überraschen lassen, wie sie auf der Straße Männer ansprachen. Wenn die Weiber sich ausgeschlafen hatten, konnte man sich ganz vernünftig mit ihnen unterhalten. Sie bewiesen eine allumfassende Vertraulichkeit. Ja, pflegten sie zu sagen, es ist nicht besonders schön auf dieser Welt; man muß eben zusehen, wie man weiterkommt, und das eigne wie das Pech der anderen nicht besonders tragisch nehmen. Sie ließen sich in allen Einzelheiten die traurige Geschichte erzählen, wie Budge Foster standrechtlich erschossen worden war, und weinten dabei. Noch nie war Corrie May weiblichen Wesen begegnet, denen die Tränen so locker saßen und die so reichlich damit versehen waren. Aber zornig wurden sie selten; sie begnügten sich mit der Trauer.
Es fiel Corrie May nicht leicht, dies glatte Einverstandensein mit jeder Art von Schicksal zu begreifen. Sie, Corrie May, hegte keineswegs die Absicht, sich mit allem abzufinden, was da kam. Als sie erfuhr, daß Budge
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