Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
Aufregung brächte dich um, sagte ich ihnen. Sie glaubten mir nicht. Schließlich schleppte ich ihren Hauptmann hier herauf. Als der dich sah, trieb er sie endlich davon.«
»Sind sie jetzt weg?«
»Ja. Reg dich nur nicht mehr darüber auf. Das hätten wir auch überstanden. Schlafe nur weiter jetzt!«
»Wo ist der Kleine?«
»Mammy hat ihn bei sich.«
»Ist ihm wirklich nichts passiert?«
»Nein, Liebes! Schlafe doch wieder!«
»Bring mir Denis herauf. Ich will erst sehen, daß ihm nichts geschehen ist.«
Cynthia gehorchte. Als der kleine Bursche ins Zimmer tappelte, konnte sich Ann erleichtert davon überzeugen, daß er nicht nur unbeschädigt war, sondern obendrein auch noch vor Vergnügen strahlend krähte; sein Kleidchen klebte von Marmelade. Einer der Soldaten hatte ihm ein Stückchen Schokolade geschenkt, und ein anderer hatte ein paar Konservengläser geöffnet und den kleinen Denis schlecken lassen, was sein kleiner Magen an Süßigkeiten fassen konnte.
Die ›Eroberer‹ hätten den Geheimtresor im Weinkeller nicht gefunden, obgleich sie bis zur Vorkammer neben der Halle vorgedrungen seien, berichtete Cynthia; dort hätten sie sich mit lautem Getöse die Taschen voller Weinflaschen gestopft und nicht gemerkt, daß sich hinter dem Flaschenschrank noch eine Tür befand. Dann wäre der Hauptmann erschienen und hätte die ganze Horde aus dem Hause gewiesen.
Cynthia lehnte sich über Anns Bett und wisperte:
»Es war sehr klug von dir, daß du darauf bestanden hast, das Silber zu vergraben.«
Ann versuchte, mit dem Kopf zu nicken, und flüsterte mit großer Anstrengung: »Bitte, laß mich allein!«
Und schon beim nächsten Atemzug war sie eingeschlafen.
Die Wochen danach blieben ihr nur wie eine Nebellandschaft unbestimmt in der Erinnerung. Mancherlei wurde ihr in diesen Tagen berichtet; aber das meiste floß an ihren Ohren vorbei, ohne einen Eindruck zu hinterlassen. Über Dalroy war der Belagerungszustand verhängt worden. Niemand durfte sich ohne einen von der Besatzung ausgestellten Ausweis auf der Straße sehen lassen. Die Dienstboten auf Ardeith waren alle auf und davon; nur Mammy, Napoleon und Bertha waren dem Hause treu geblieben; im übrigen beherbergte das Haus nur noch Berthas kleines schwarzes Söhnchen Jimmy, das kurz vor dem kleinen Denis das Licht der Welt erblickt hatte. »Mir ist alles gleich«, flüsterte Ann immer wieder. »Mir ist alles gleich! Laßt mich, bitte, bitte, in Frieden!«
Ann erholte sich nur langsam. Ganz allmählich erst wuchsen ihr die Kräfte wieder zu. Eines Tages fühlte sie sich endlich stark genug, mit ihrem Kinde im Arm die Treppen hinunterzusteigen. Ann hatte die Kleine Virginia genannt; das war immer ihr Lieblingsname gewesen; schon ihre Puppen hatte sie gewöhnlich auf diesen Namen getauft.
Doch am Fuß der großen Treppe mußte sie sich bereits zum ersten Male niedersetzen; sie blickte sich um.
»Cynthia, wo sind die Familienbilder geblieben?«
»Ich habe sie von Napoleon auf den hintersten Boden tragen lassen; dort sind sie gut versteckt. Ein paar von ihnen sind wertvoll.«
Ann atmete erleichtert auf. Sie wollte die Bilder wieder ans Licht gebracht haben; sie sollten wieder von ihren alten Plätzen auf sie herniederblicken, die vertrauten, reglosen Gesichter. Jene Männer und Frauen, von lang vergessenen Malern konterfeit, hatten das Haus gebaut, das Geschlecht begründet und zu dem Rang erhoben, den ihm bisher niemand streitig zu machen gewagt. Ann hatte in der Vergangenheit nicht viel von Familiengeschichte gehalten; Ruhm und Glanz der Sippe hatten ihr wenig bedeutet.
Jetzt verstand sie das Gewesene besser und dankte dem Himmel dafür; denn der große Name der Vorfahren konnte ihr nicht genommen werden; sie wollte die sichtbaren Symbole um sich versammeln, die ihn vertraten. Ihre Kinder sollten in der Tradition der Larnes aufwachsen und sie erneuern. Sie küßte leise das Köpfchen ihres Kindes. Dabei fiel ihr Blick auf eine tiefe Delle, die sich deutlich im Holz der untersten Treppenstufe abzeichnete. »Was ist denn das, Cynthia?« rief sie aus und wies auf das kaum zu verkennende Merkmal. »Es sieht aus wie ein Hufeisen.«
»Das ist richtig geraten«, erwiderte Cynthia mit vergnügtem Sarkasmus, der ihr, halb einem Kinde noch, sonderbar zu Gesicht stand. »Einer der Gäste, die sich unlängst bei uns eingeladen hatten, hielt es für richtig, hoch zu Roß die Halle zu betreten. Der Wendeltreppe allerdings hat sich das Roß verweigert.«
Ann
Weitere Kostenlose Bücher