Louisiana-Trilogie 3 - Am Ufer des Ruhmes
»Wir sind nicht verantwortlich für den Krieg. Was erwarten diejenigen, die ihn anfingen? Leute, die nicht gerne Spinnen in ihrem Tee haben, sollten keine Picknicks im Freien veranstalten.«
»Oh, ich weiß, daß wir nichts tun können«, stimmte sie zu, »aber würdest du dich nicht weniger verantwortlich fühlen, wenn wir etwas harmlosere Dinge erzeugten? Nahrungsmittel zum Beispiel?«
Er schüttelte den Kopf. »Wieso?«
Er durchquerte den Raum, um eine Gardine zurechtzuzupfen, die die Sonnenstrahlen hereindringen ließ. Sich herumdrehend, stützte er sich mit den Armen auf die Lehne eines Stuhles, und es sah aus, als suche er nach Worten, um seinen Überlegungen treffenden Ausdruck zu verleihen. Sie fand das ein wenig überraschend, denn in der Regel formten sich ihm die Gedanken mühelos zu Worten.
»Sieh die nüchternen Tatsachen, Eleanor«, sagte er schließlich. »Wir müssen etwas pflanzen, das ist unser Beruf. Alles, was wir in diesem Jahr angebaut haben, wird gebraucht werden, um den Krieg fortzusetzen. Nahrungsmittel, Kleidungsstücke, Munition – da ist kein Unterschied. Die Armeen brauchen das alles, wenn sie kämpfen wollen.«
Sie nickte.
»Wir verkaufen an beide Seiten«, fuhr Kester fort. »Und warum auch nicht? Die ›rechte Seite‹ und die ›schlechte Seite‹ – das ist ganz egal. Ich habe die beiderseitigen Argumente gelesen, bis ich krank davon wurde. Sie sagen beide, sie kämpften für die Zivilisation, für die Kultur, für Heimat und Vaterland und für die Ehre der Fahne. Sie reden beide von der ›geistigen Natur des Krieges‹, aber sie sprechen nicht davon, was sie eigentlich erreichen wollen, abgesehen von der Freude, ihren Feinden den Hosenboden vollgehauen zu haben.«
Eleanor lachte kurz auf. »Ja«, sagte sie, »das alles habe ich auch bemerkt.«
»Und was die Munition betrifft«, fuhr Kester fort, »da gab es viele Kriege, lange bevor das Schießpulver erfunden wurde. Es gibt überhaupt keine anständige Methode des Mordens. Wenn du einen Menschen töten willst, macht es keinen Unterschied, ob du ihn erschießt, ob du ihn mit einem Knüppel niederschlägst oder ob du ihn einschließt und zu Tode hungern läßt. Wir entsetzen uns darüber, daß die Deutschen Bomben über unverteidigten Städten abwerfen, aber die Briten töteten mindestens ebenso viele Kinder durch ihre Blockade wie die Deutschen mit ihren Bomben.« Er hob die Schultern und ließ sie wieder fallen.
Eleanor sah finsteren Blickes und gedankenverloren in die Ecke des Zimmers. »Und wenn wir keine Baumwolle pflanzen, verlieren wir Ardeith«, sagte sie.
»Gewiß. Wir würden Ardeith verlieren, wenn wir so idealistisch wären, keine Baumwolle zu pflanzen. Ich bin nicht aus dem Zeug, aus dem man Märtyrer macht, Eleanor, und du bist es auch nicht. Ich denke, wir sollten versuchen, soviel Baumwolle zu erzeugen, wie der Boden von Ardeith eben hergeben will, und wir sollten dankbar sein, wenn die Preise steigen.«
In ihrem Antlitz stand ein kleines ironisches Lächeln.
»Dankbar?« fragte sie, »wem gegenüber?«
»Honigkind«, sagte Kester, »jedermann in diesem Kriege ist überzeugt, Gott auf seiner Seite zu haben. Warum sollten wir nicht gleicherweise davon überzeugt sein?«
III
D ie Plantage erzeugte in diesem Herbst achthundertvierundsechzig Ballen Baumwolle. Der Preis stand im Oktober auf zwölf Cents für das Pfund. Mit dem Ergebnis zweier Ernten im Lagerhaus verfügten Kester und Eleanor über mehr als hunderttausend Dollar in Baumwollwerten, und nachdem sie lange über ihren Büchern gebrütet hatte, erklärte Eleanor, daß sie einen Teil der Ware zurückhalten könnten.
»Wir können Mr. Tonelli bezahlen und auch der Bank ihre zwanzigtausend Dollar geben«, sagte sie, »und wenn wir sehr vorsichtig wirtschaften, können wir etwas Baumwolle liegenlassen und auf die Preise von 1916 warten. Laß uns das tun, Kester. Der Krieg geht vorläufig noch nicht zu Ende.«
Er war damit einverstanden. Gleich darauf sagte er: »Jetzt werde ich erst einmal zu meinem Schneider gehen.«
»Tue das«, versetzte Eleanor. »Sobald ich meine alte Figur wiederhabe, werde ich auch einiges für mich beschaffen: ein hübschgesticktes Kleid mit einem passenden Sonnenschirm und Lacklederschuhe mit Spitzen aus weißem Ziegenleder; ein graues Kostüm und einen Hut mit einer Paradiesfeder – unterbrich mich, Kester, ich werde sonst verrückt.«
»Fahre fort und werde verrückt. Wie lange ist es her, daß du kein neues Kleid
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