Louisiana-Trilogie 3 - Am Ufer des Ruhmes
öffnete die Finger und sah es auf ihrer offenen Handfläche liegen. Ein böser Gedanke schoß ihr in den Kopf: Es ist sehr scharf, ich kann ihr die hübsche Visage damit zerfetzen! Unwillkürlich schauderte ihr; nie zuvor hatte sie gewußt, wie es ist, wenn man sich versucht sieht, physische Gewalt anzuwenden. Es klopfte wieder an der Tür. Sie schloß ihre Hand um das Messer, drehte sich um und sagte: »ja?« Ihre Stimme klang rauh und lauter, als notwendig gewesen wäre. Das Negermädchen trat ein und erklärte, der Wagen aus Ardeith sei vorgefahren.
Eleanor hielt Kesters Messer in der geschlossenen Faust. Das Mädchen hielt ihr den feuchten Mantel hin; sie nahm ihn ihr ab und warf ihn über den Arm. Sie ging wortlos an dem Mädchen vorbei und die Treppe hinunter.
Isabel stand an der geöffneten Haustür und sprach mit Cameo. Als Eleanor heran war, sagte sie: »Gute Nacht!«
»Gute Nacht!« antwortete Eleanor, ging hinaus und stieg in das Auto. Sie hielt den Mantel über den Knien und darunter die Faust, die Kesters Messer umklammerte.
Der Regen strömte noch immer. Cameo fuhr langsam und vorsichtig; hinter ihm saß Eleanor, zitternd vor Kälte und mühsam zurückgehaltener Wut. Sie war ganz schwach von der Anstrengung, die die Selbstbeherrschung erfordert hatte. Es war das erste Mal, daß sie vermocht hatte, ihre Wut zu zügeln, ohne sich durch einen Temperamentsausbruch Erleichterung zu verschaffen.
Dilcy und Bessy stürzten ihr bereits in der Halle entgegen und bestürmten sie mit Fragen. Dilcy nahm ihr den nassen Mantel ab, gab ihr ein Paar vorsorglich angewärmter Hausschuhe und bestand darauf, Abendessen bringen zu wollen. Eleanor sagte, sie habe keinen Hunger, aber Dilcy war unerbittlich; sie mußte wenigstens eine Tasse heißer Milch trinken. Eleanor gab schließlich nach, nur um das bittende Geschwätz des Mädchens nicht länger hören zu müssen.
Sie setzte sich an das Kaminfeuer und betrachtete das kleine Silbermesser in ihrer Hand. Sie hatte es nie benutzt; jetzt, wo sie daran dachte, wozu sie vor kurzem noch fähig gewesen wäre, entsetzte sie sich vor ihren Möglichkeiten. Es war erschreckend, zu sehen, wie dicht die primitivsten Impulse unter der dünnen Hautschicht der Zivilisation gelegen waren. Sie starrte auf das Messer, bis sie Dilcys Schritte in der Halle vernahm; da warf sie das kleine Ding mit einem unbestimmten Gefühl der Schuld unter eines der auf dem Tisch liegenden Magazine. Als Dilcy dann mit der Milch und einem Schälchen voller Biskuits hereinkam, fühlte sie sich angesichts des breiten strahlenden Lächelns der Negerin fast befreit. Dilcy mußte zufolge des Telefonanrufes wissen, daß sie bei Isabel Valcour Zuflucht vor dem Regen gesucht hatte, aber Dilcy konnte immerhin nicht wissen, welche Gefühle sie dabei bewegten. Beschämt ob ihrer Nervosität lächelte sie zurück. Ich bin halb närrisch vor Erschöpfung und Müdigkeit, dachte sie. Es war ein schwerer Tag, der hinter ihr lag. Sie wünschte sich einen langen Schlaf.
»Sie müssen jetzt die Milch trinken und einen Zwieback essen«, sagte Dilcy, »dann Missis müssen gleich hinauf in ihr Bett. Nacht ist sehr schlimm.«
»Du hast recht, Dilcy«, versetzte Eleanor, »wie geht es den Kindern?«
»Kinder haben zu Abend gegessen und sind ins Bett. Haben Mrs. Elna gehabt Sorge?«
»Nein, das hatte ich nicht.« Eleanor fühlte, wie sie schon wieder ruhiger wurde. »Du achtest gut auf die Kinder, Dilcy«, sagte sie. »Ich wüßte gar nicht, was ich anfangen sollte ohne dich.«
»Ja, Madam, ich versuchen alles zu machen richtig bei meine Kinder«, sagte Dilcy. »Nun Sie trinken diese Milch, ehe sie ist kalt.«
Eleanor gehorchte und aß auch einen Zwieback, weil es ihr einfacher schien, Dilcys Wunsch nachzukommen als zu widersprechen. Dilcy führte sie dann, wie der Hirt sein Schäfchen, die Treppe hinauf und half ihr beim Auskleiden, denn Eleanor war so müde, daß sie kaum fähig war, ohne Hilfe aus den Kleidern zu kommen. Dilcy legte ihr noch einen mit heißem Wasser gefüllten Gummibeutel an die Füße und versicherte, daß niemand in ihre Nähe kommen würde, bis sie am nächsten Morgen von selber erwache. »Vielleicht überhaupt besser, Missis bleiben morgen im Bett«, sagte sie. O nein, morgen sei sie wieder ganz in Ordnung, versicherte Eleanor. »Danke schön, Dilcy.«
»Missis muß ausschlafen. Ich sehr gern möchte sie verwöhnen. Sie das nicht oft lassen tun mit sich«, klagte Dilcy und versetzte Eleanor einen
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