Louisiana-Trilogie 3 - Am Ufer des Ruhmes
versuchte, etwas Zerstreuung in den Büchern zu finden, die ihr Vater gebracht hatte, sie bekam Rechnungen vorgelegt und schrieb Schecks aus, sie schrieb Dankbriefe für die Blumensendungen, die fortgesetzt eintrafen. Aber nichts von alledem drang so tief in ihr Bewußtsein ein, daß es auch nur für eine kleine Weile die quälende Ungewißheit ausgelöscht hätte. Daneben wuchs in ihr von Tag zu Tag ein neues heimliches Schuldgefühl: Acht Jahre war sie mit Kester verheiratet, und niemals war ihr bewußt geworden, über welche inneren Kraftreserven er verfügte.
Je mehr sie seine Standhaftigkeit beobachten konnte, je mehr wuchs ihre heimliche Bewunderung für ihn und je tiefer quälte sie ihre eigene Schuld. Kester stand neben ihr und hielt Cornelias Hand in der seinen, während die Ärzte allerlei Manipulationen vornahmen, die kleine Tropfen kalten Schweißes auf seiner Stirn erzeugten, aber niemals zuckte er zurück oder verließ auch nur einen Augenblick seinen Posten. Er hielt die schlafende Cornelia in seinen Armen, bis seine Muskeln vor Erschöpfung einschliefen, und er war nicht zu bewegen, sie loszulassen, bis sie schließlich erwachte. Dann aber wandte er sich Eleanor zu, um sie zu trösten, während sie sich in seelischem Schmerz zusammenkrümmte und glaubte, die Qual nicht einen Tag länger ertragen zu können. Er sprach zu ihr mit ruhigen und einfachen Worten und machte sie glauben, daß sie sehr tapfer sei. Ach, und sie wußte doch, daß sie das gar nicht war. Sie waren nur verhältnismäßig selten allein zusammen, und wenn sie es waren, dann sprachen sie von nichts anderem als von Cornelia. Verwirrt und verblüfft gestand Eleanor sich ein, daß sie es nie für möglich gehalten hätte, sich jemals von einem anderen Menschen so abhängig zu fühlen. Zwischen seiner und ihrer Kraft, fühlte sie, bestand ein erheblicher Unterschied, der Unterschied zwischen dem Mut, einen Angriff zu unternehmen, und der Kraft, eine Niederlage einzustecken und damit fertig zu werden. Mein Gott, wie arrogant war sie gewesen, als sie glaubte, nur der Angreifer habe Wert und Bedeutung. Kesters Herkunft bedenkend, wurde ihr klar, wie es zugehen mochte, daß seine Vorfahren trotz ihres heiteren und oberflächlichen Wesens Krisen und Zusammenbrüche aller Art immer wieder überlebt und überstanden hatten.
Einmal so weit in ihren Überlegungen gekommen, rief sie sich in unbarmherziger Anklage die Anwürfe und Behauptungen in die Erinnerung zurück, mit denen Isabel Valcour sie überschüttet hatte: »Wissen Sie nicht, daß Kester das Gefühl braucht, benötigt zu werden? … Sie sind gar nicht in der Lage, ihm zu geben, was er möchte und was er braucht! … Die kleinen Triumphe, das leise Beifallsgeflüster, alles das, was ein Mann liebt … Was immer die Larnes für Männer waren, die Frauen, die sie liebten, ließen sie jederzeit fühlen, daß sie Helden waren … Kester ist zu mir gekommen, weil ich ihm sein Selbstvertrauen wiedergegeben habe!« Hundertmal und öfter war sie soweit, daß sie am liebsten hinausgeschrien hätte: Kester, vergib mir! Gib mir eine Chance, daß ich dir beweisen kann, daß ich gelernt habe! Aber sie tat es nicht, weil sie nicht wußte, ob Kester heute dergleichen noch von ihr hören wollte.
Kester wußte nichts von dem, was in ihr vorging, und Eleanor glaubte immer, es sei seine Kraft und nicht die ihre, die sie davor bewahrte, zusammenzubrechen. Und dann kam jener Februarmorgen, da er an ihre Tür klopfte und, bevor sie noch antworten konnte, hereinstürzte und ihr zurief:
»Eleanor, sie sagen, es würde besser mit ihr.«
Für einen Augenblick war Eleanor wie erstarrt. Die Freude würgte sie fast, sie wagte noch nicht zu begreifen. Sie keuchte nur, stammelte: »Sie sagen – –?«
»Dr. Renshaw. Er sagte mir eben, sie glauben, die Entzündung zum Stillstand gebracht zu haben. Verstehst du denn nicht?« rief er. »Sie kann sehen!«
Eleanor taumelte zur Tür; ein Instinkt sagte ihr, sie müsse jetzt zu Cornelia gehen, aber schon nach dem ersten Schritt knickten ihre Knie ein, und sie fand sich am Boden kniend, das Gesicht auf den Sitz eines Sessels gepreßt; ihr ganzer Körper schüttelte sich in einem wilden Weinkrampf. Nein, sie konnte nicht mehr.
Kester versuchte jetzt nicht, sie zu beruhigen. Er stand neben ihr, hatte seine Hand auf ihren Scheitel gelegt und wartete, bis der schlimmste Sturm sich gelegt hatte. Als sie schließlich zu ihm aufsah, nahm er ihr mit einer zärtlichen
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