Louisiana-Trilogie 3 - Am Ufer des Ruhmes
auszudrücken, was sie fühlte. Es schien ihr, als stände Kester erstmalig in seinem Leben vor einer Situation, in der er selbständig handeln und Entschlüsse fassen müsse.
Kurz vor dem Einbruch der Dunkelheit erschien Kester wieder im Wartezimmer, wo Eleanor auf dem Sofa saß. Die Schwester hatte gesagt, sie dürften noch einmal mit Cornelia sprechen, bevor sie schlafen müßte, und Kester war hinuntergegangen, während sie darauf wartete, gerufen zu werden.
»Das Zimmer Cornelia gegenüber ist frei«, sagte Kester. »Du kannst es haben. Wir können übrigens beide hierbleiben, bis die Zimmer für neue Patienten benötigt werden.«
»Ich danke dir, daß du daran gedacht hast«, sagte Eleanor. Ihr selbst war noch gar nicht der Gedanke gekommen, daß sie das Krankenhaus ja schließlich wieder einmal verlassen müßten und daß es anderenfalls schwierig sein könnte, ein Arrangement zu treffen, um ihr einstweiliges Hierbleiben zu ermöglichen. »Wo wirst du bleiben?« fragte sie.
»Man wird mir hier eine leichte Bettstelle hereinstellen«, antwortete Kester. »Was hast du da für ein Telegramm?«
»Von Neal und Klara Sheramy. Sie sorgen sich alle so. Leg es zu den anderen.« Sie gab ihm das Telegramm und wunderte sich, daß die Krankenhausverwaltung, wenn sie ihnen schon die Übernachtung hier gestattete, einem Ehepaar gleich zwei Zimmer statt einem überlassen wollte. Immerhin war sie sehr froh, daß Kester es verstanden hatte, die Angelegenheit zu arrangieren, ohne auf den traurigen Zustand ihrer Ehe anzuspielen.
Die Schwester erschien und teilte ihnen mit, daß sie Cornelia jetzt noch einmal sehen könnten. Sie folgten ihr in das Krankenzimmer.
Cornelia wandte leicht den Kopf, als sie hörte, daß die Tür sich öffnete. »Ist das Vater und Mutter?« fragte sie.
»Ja, mein Herz, wir sind es beide«, sagte Eleanor. Sie setzten sich, jeder auf eine Seite des Bettes, und Cornelia streckte ihre Hände aus, um sich von ihrer Gegenwart zu überzeugen.
»Ach«, sagte sie leise, »daß ich euch nicht sehen kann! Wann werden sie den Verband abnehmen, daß ich euch sehen kann?«
»Sehr bald, Liebes«, sagte Eleanor. »Sobald es deinem Auge besser geht!«
»Ich weiß nicht, warum sie mir nicht erlauben, die Binde einen Augenblick abzunehmen. Ich habe dich so lange nicht gesehen, Vater.«
»Ich habe mich aber nicht ein bißchen verändert, Cornelia.«
»Wirst du nun jeden Tag hier bei mir sein?«
»Ja, Liebling, jeden Tag.«
»Und wirst du auch nicht wieder fortgehen?«
»Gewiß nicht, mein Herz.«
Cornelia lächelte zufrieden. »Mutter«, sagte sie, »kann ich morgen zu essen bekommen, was ich gerne möchte?«
»Oh, gewiß, das denke ich doch«, sagte Eleanor.
»Schokoladen-Eiscreme?«
»Die wirst du sicher haben können. Ich werde Bescheid sagen, daß du sie gerne ißt, und bin sicher, sie bringen sie dir.«
Bald danach berührte die Schwester leise Kesters Schulter und zeigte auf die Uhr an ihrem Arm. Kester nickte. Sie sagten Cornelia gute Nacht und versprachen, zurückzukommen, sobald sie erwacht sei und sie sehen wolle. Dann verließen sie das Zimmer.
Kester brachte Eleanor ihren Koffer an die Tür des für sie eingerichteten Zimmers.
»Ich werde morgen fragen, ob sie nicht einen Phonographen im Zimmer haben darf«, sagte er. »Das wird ihr die Sache leichter machen.«
»Oh, das wäre schön«, versetzte Eleanor. »Sie werden gewiß nichts dagegen haben. Die Schwester kann die Tür ja geschlossen halten, solange der Phonograph spielt.«
»Ich werde sehen, ob es sich machen läßt«, sagte Kester. Er öffnete die Tür und stellte den Koffer ab. Er zögerte einen Augenblick und folgte ihr dann in das Zimmer hinein. »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, Eleanor«, sagte er mit mattem Lächeln. »Wir haben jetzt ja beide keinen anderen Gedanken als Cornelias Zustand im Kopf. Über uns selbst können wir später miteinander reden.«
»Ja«, sagte sie, »das können wir.«
»Du solltest nur eben wissen, wie ich darüber denke«, sagte Kester. »Gute Nacht!«
»Gute Nacht!«
Er verließ das Zimmer. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, fiel Eleanor auf das Bett und umschlang das zusammengeknüllte Kopfkissen mit den Armen. Sie zitterte vor Müdigkeit und vor dem überwältigenden Gefühl ihrer Niederlage. Und sie fragte sich erschüttert, ob sich hinter Kesters unpersönlicher Höflichkeit wohl das gleiche Gefühl namenloser Einsamkeit berge, das sie selbst zu verschlingen
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