Louisiana-Trilogie 3 - Am Ufer des Ruhmes
Schubladen des Pultes waren sozusagen bis zum Rande mit Papieren vollgestopft und ließen sich nur widerstrebend öffnen. Eleanor zog sie eine nach der anderen auf und machte sich daran, den Inhalt durchzusehen.
Da lagen in wildem Durcheinander Rundschreiben, Menükarten, alte Briefe, obszöne Drucke, Merkzettel, Theaterprogramme und – Rechnungen. Rechnungen, Rechnungen, Rechnungen! Mit Händen, die steif vor Kälte waren, begann Eleanor den Wust zu sortieren.
Ihre Erbitterung wuchs schon wieder. Offensichtlich hatte Kester nie etwas bezahlt, was er nicht unbedingt bezahlen mußte. Die Geschenke, die er ihr gebracht hatte, die Kleidchen, die sie für Cornelia gekauft hatte, alles war unbezahlt. Und dann schrie sie unwillkürlich auf. Sie hielt die Liquidation Dr. Purcells in der Hand, für die ärztliche Hilfe, die er vor drei Monaten bei ihrer Entbindung geleistet hatte. Wahrhaftig, auch sie war noch unbezahlt. Sie steckte die Rechnung mit zitternder Hand in ihre Manteltasche. Gott sei Dank besaß sie ja etwas Geld: die Zinsen der ihr vom Vater überschriebenen Tonelli-Aktien. Neunhundert Dollar lagen bereits auf der Bank. Sie hatte das Geld stehen lassen, weil sie beabsichtigt hatte, sich ein Auto zu kaufen, aber das kam unter den veränderten Umständen natürlich nicht mehr in Frage. Sie würde die Liquidation Bob Purcells gleich morgen selber bezahlen – nein, heute noch; der Morgen dämmerte ja schon.
Der Gedanke, daß Kester eine solche Verpflichtung vernachlässigt hatte, machte sie beinahe krank vor Scham. Aber sie gab sich selbst das Versprechen, daß zukünftig in Ardeith nichts mehr vernachlässigt werden sollte. Was immer sie tun konnte, würde sie tun. Sie hatte einen ausgebildeten Zahlensinn; nicht umsonst hatte sie in Barnard in der Hauptsache Mathematik studiert.
Mit finsterer Entschlossenheit begann sie den Inhalt einer anderen Schublade zu sichten. Sie zitterte, als sie die erste Rechnung fand. Sie fand ihrer noch viele, und allmählich begann ihr Zorn sich in Furcht zu verwandeln. All diese Rechnungen – das war ja zweifellos nur ein Bruchteil; dazu kamen die angehäuften Hypothekenschulden, die sonstigen Verpflichtungen, die zweifellos bestanden und von denen sie noch nichts ahnte; – das Ausmaß von Kesters Verschuldung begann in ihren Gedanken schreckliche Formen anzunehmen. In der äußersten Ecke dieser Schublade stieß sie auf einen weißen Karton. Sie hob den Deckel ab und sah einen Haufen Briefumschläge mit Kesters Adresse in ihrer eigenen Handschrift. Es waren die Briefe, die sie ihm vor der Hochzeit geschrieben hatte. Sie waren zusammen mit einem Taschentuch von ihr und einem seidenen Beutelchen, das sie irgendwann verloren haben mußte, und verschiedenen anderen kleinen Dingen, an denen niemand außer einem zärtlichen Liebhaber Interesse haben konnte, sorgfältig zusammengepackt, ganz offensichtlich die einzigen Gegenstände im Pult, auf deren Aufbewahrung Kester Wert gelegt hatte. Ein warmes Gefühl stieg in ihr auf, da sie sich das klarmachte; es erstickte den in ihr kochenden Ärger. Sie ließ den Kopf sinken und strich sich mit den starren Fingern durch das Haar. Ach, sie liebte ihn, sie konnte sich nicht helfen, es war einmal so. Und es war ja auch so leicht zu verstehen; jedermann, der ihn kannte, liebte ihn ja. Er war die liebenswerteste Person, die ihr jemals begegnet war, obgleich er, mit dem Maßstab der Rechtschaffenheit gemessen, zweifellos keinen Penny wert war.
Eleanor stellte das Kästchen auf seinen Platz zurück. Sie nahm die unbezahlten Rechnungen mit nach oben und ordnete sie in einem Schubfach ihres eigenen Schreibsekretärs. Obwohl ihre Finger so steif waren, daß sie kaum den Halter zu führen vermochte, schrieb sie sogleich einen Scheck für Bob Purcell aus, tat ihn mit der Quittung in einen Umschlag, schrieb die Adresse und versah den Brief mit einer Marke. Als sie schließlich aufstand und ihre Tischlampe abdrehte, war es sechs Uhr morgens. Sie zitterte vor Übermüdung.
Sie legte sich zu Bett und schlief sofort ein. Sie erwachte, als Dilcy, die Säuglingsschwester, ihr Cornelia brachte; als das Kind wieder weggebracht wurde, schlief sie sogleich wieder ein. Es war fast Mittag, als sie sich erhob und Kesters Stimme in der Halle hörte. Er sprach mit Dilcy.
»Prachtvolles Wetter, Dilcy«, sagte er, »zwar ein wenig kalt, aber das macht nichts; die Sonne wird ihr gut tun. Geh ruhig mit ihr hinaus. Schläft Mrs. Eleanor noch?«
Eleanor hörte,
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