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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Priester, die unaufhörlichen Rufe, die das bebende Volk erschütterten. Seine von unendlicher Zärtlichkeit brennenden Augen, die sich fest auf die Jungfrau hefteten, um sich nie mehr von ihr abzuwenden, lebten allein. Sie sogen sie in sich bis in den Tod, sein letzter Wille war, in ihr aufzugehen, in ihr zu verlöschen. Einen Augenblick öffnete sich der Mund ein wenig, der Ausdruck einer himmlischen Glückseligkeit machte das Gesicht freundlicher. Dann rührte sich nichts mehr, und die weit offenen Augen blieben starr auf die weiße Statue geheftet.
    So verflossen einige Minuten. Martha hatte einen kalten Hauch gefühlt, der ihre Haarwurzeln eisig berührte.
    »Um Gottes willen«, flüsterte sie, »sehen Sie nur!«
    Ängstlich stellte sich Frau Sabathier, als ob sie nicht begriffe.
    »Was denn, mein Kind?«
    »Mein Bruder, betrachten Sie ihn nur. Er rührt sich nicht mehr. Er hat den Mund geöffnet und sich dann nicht mehr bewegt.«
    Nun zitterten alle beide in der Gewißheit, daß er gestorben war. Er war ohne Röcheln und ohne einen Atemzug verschieden, als ob das Leben in seinem Blick, durch seine großen Augen, voll von Liebe und unersättlicher Leidenschaft entflohen wäre. Er hatte den Geist aufgegeben, während er die Jungfrau betrachtete. Mit dieser Süßigkeit war nichts zu vergleichen, und er betrachtete sie noch fortwährend unter unaussprechlichen Wonnen mit seinen erstorbenen Augen.
    »Versuchen Sie, ihm die Augen zu schließen!« flüsterte Frau Sabathier. »Wir werden es dann wohl wissen.«
    Martha hatte sich erhoben, sie beugte sich nieder, um nicht gesehen zu werden, und gab sich alle Mühe, die Augen mit zitterndem Finger zu schließen. Aber jedesmal öffneten sie sich wieder und betrachteten hartnäckig immer wieder die Jungfrau. Er war tot, und sie mußte die in unendlicher Verzückung versunkenen Augen weit offenstehen lassen.
    »Ach, es ist vorbei«, stammelte sie, »es ist alles vorbei mit ihm, gnädige Frau!«
    Zwei Tränen flossen aus den schweren Lidern auf ihre Wangen herab, während Frau Sabathier das Mädchen bei der Hand faßte, um es zum Schweigen zu bringen. Denn ein Geflüster ging herum, und schon verbreitete sich eine unruhige Bewegung. Aber was sollte man tun? Inmitten eines solchen Gewühls und während der Gebete konnte man den Leichnam doch nicht fortschaffen, ohne Gefahr zu laufen, einen unheilvollen Eindruck hervorzubringen. Das beste war, ihn da zu lassen und einen günstigen Augenblick abzuwarten. Er gereichte niemand zum Ärgernis und schien nicht weniger lebendig zu sein als zehn Minuten vorher. Ja, alle Welt konnte der Meinung sein, daß seine flammenden Augen in ihrer brünstigen Berufung an die göttliche Zärtlichkeit der Heiligen Jungfrau noch immer lebten.
    Nur in der näheren Umgebung wußten einige Personen von der Sache.
    Herr Sabathier hatte bestürzt seine Frau durch ein Zeichen befragt. Als er durch eine lange, stumme Bejahung vom Geschehenen unterrichtet war, fing er, ohne sich aufzulehnen, wieder zu beten an, indem er vor der geheimnisvollen Allmacht erblaßte, die den Tod sandte, während man das Leben von ihr begehrte. Die durch den Vorfall außerordentlich gefesselten Vignerons beugten sich gegeneinander und zischelten wie über einen Straßenunfall oder eine jener kleinen Geschichten, die der Vater manchmal von seinem Büro erzählte und über die dann den ganzen Abend gesprochen wurde. Frau Jousseur hatte sich umgedreht und Herrn Dieulafay ein einziges Wort ins Ohr geflüstert. Darauf waren beide in die herzzerreißende Betrachtung ihrer teuren Kranken zurückgefallen, während der von Herrn Vigneron benachrichtigte Abbé Judaine niederkniete und, sehr bewegt, mit leiser Stimme die Totengebete betete.
    War er kein Heiliger, dieser Missionar, der mit seiner Todeswunde in der Seite aus den mörderischen Ländern zurückgekommen war, um hier unter dem lächelnden Blick der Heiligen Jungfrau zu sterben? Frau Maze hatte Geschmack am Tode gefunden. Sie war entschlossen, den Himmel inständig zu bitten, auch sie auf solche Art hinwegzunehmen, wenn er sie nicht erhören und ihr den Gatten nicht wiedergeben wollte.
    Aber der Ruf des Paters Massias stieg wieder empor, er erscholl mit der Kraft einer schrecklichen Verzweiflung und unter herzzerreißendem Schluchzen.
    »Jesu, du Sohn Davids, ich gehe zugrunde, rette mich!«
    Nach ihm schluchzte das Volk und schrie:
    »Jesu, du Sohn Davids, ich gehe zugrunde, rette mich!«
    Und Schlag auf Schlag, stets lauter und

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