Lourdes
nur noch das rote Kreuz der Pilger. Der Bahnhof, den er nur in dem fahlen, schwachen Lichte, in der Beklemmung an jenem entsetzlichen Morgen der Ankunft gesehen hatte, überraschte ihn durch seine breiten Bahnsteige, seine geräumigen Treppen, seine helle Fröhlichkeit. Die Berge sah man nicht, aber auf der andern Seite, den Wartesälen gegenüber, stiegen grünende Hügel von entzückendem Reize empor. An diesem Nachmittag war das Wetter von unendlicher Freundlichkeit, ein feiner Flaum von Wolken hatte an dem milchweißen Himmel, von dem nur ein mattes Licht, ein wie Perlen glänzender Staub, herabsank, die Sonne verschleiert. Es war ein Damenwetter, wie die guten Leute sagen.
Es hatte noch nicht drei Uhr geschlagen, und Pierre blickte auf die große Uhr, als er Frau Desagneaux und Frau Volmar ankommen sah, denen Frau von Jonquière und ihre Tochter folgten. Die Damen, die ein Landauer aus dem Hotel hergebracht hatte, suchten ebenfalls gleich ihren Wagen. Raymonde erkannte sofort das Abteil erster Klasse, in dem sie gekommen waren.
»Mama, hierher, hier ist es ... Bleib ein bißchen bei uns, du hast Zeit, dich mit deinen Kranken einzurichten, sie sind ja noch gar nicht da.«
Nun stand Pierre wieder Frau Volmar gegenüber. Ihre Blicke begegneten sich. Aber er erkannte sie nicht, denn sie erhob kaum die Wimpern. Wieder war sie die schwarz gekleidete, langsame, für alles gleichgültige Frau von vollkommener Anspruchslosigkeit, die glücklich ist, unbeachtet zu bleiben. Das Feuer ihrer großen Augen war verglommen unter ihrem Schleier von Gleichgültigkeit, der wie ein dichter Schatten sie auszulöschen schien.
»Oh, ich litt an einer gräßlichen Migräne«, sagte sie immer wieder zu Frau Desagneaux. »Sie sehen, ich weiß jetzt noch nicht, wo mir mein armer Kopf steht... Das kommt von der Reise, das ist jedes Jahr so, darauf kann ich mich verlassen.«
Lebhafter, rosiger als je, bewegte sich die andere mit etwas zerzausten Haaren hin und her und sagte:
»Meine Liebe, mir geht's für den Augenblick ebenso ... Ja, das hat mich heut morgen gepackt, eine Neuralgie, die mich fast umbringt... aber...« sie beugte sich vor und fuhr mit leiser Stimme fort:
»Aber ich glaube, daß es nun endlich so weit ist... Ja, ja, es ist das Kind, nach dem ich mich so sehr sehne, das nicht kommen will... Ich habe die Heilige Jungfrau angefleht und war dann leidend, oh, so leidend bei meinem Erwachen, kurz alle Zeichen... Denken Sie sich nur, was mein Mann, der mich in Trouville erwartet, für ein Gesicht machen wird!«
Frau Volmar hörte sehr ernsthaft zu, dann sagte sie mit sehr ruhiger Miene:
»Nun, meine Liebe, ich kenne eine Person, die keine Kinder mehr haben wollte, sie ist hierhergekommen und hat dann auch keine mehr gekriegt.«
Gérard und Berthaud, die die Damen bemerkt hatten, kamen eiligst herangelaufen.
Am Morgen des vorhergehenden Tages hatten sich die beiden Herren im Hospital Notre-Dame des Douleurs vorgestellt, und Frau von Jonquière hatte sie im Büro neben der Wäschekammer empfangen. Hier hatte sich Berthaud mit lächelnder Gutmütigkeit wegen des etwas übereilten Schrittes in durchaus korrekter Weise entschuldigt und um die Hand des Fräulein Raymonde für seinen Freund Gérard angehalten. Man hatte sofort ganz ungezwungen miteinander verkehrt, die Mutter hatte eine tiefe Rührung gezeigt und gesagt, Lourdes würde dem jungen Paare Glück bringen. Und so wurde die Heirat mit wenigen Worten, zur allgemeinen Zufriedenheit abgeschlossen. Man verabredete eine Zusammenkunft für den fünfzehnten September im Schloß Berneville bei Caen, einer Besitzung des Onkels, des Diplomaten, den Berthaud kannte und zu dem er Gérard zu begleiten versprach. Dann wurde Raymonde gerufen. Sie wurde vor Vergnügen rot, als sie ihre beiden kleinen Hände in die ihres Verlobten legte.
Gérard zeigte sich diensteifrig und fragte das junge Mädchen:
»Wünschen Sie Kopfkissen für die Nacht? Genieren Sie sich nicht, ich kann Ihnen welche geben, ebenso den Damen, die Sie begleiten.« Raymonde lehnte heiter ab. »Nein, nein, wir sind nicht so verzärtelt, Sie müssen das für die armen Kranken behalten ...«
Übrigens sprachen die Damen alle auf einmal. Frau von Jonquière erklärte, sie sei so ermüdet, daß sie kaum mehr fühle, ob sie noch lebe oder nicht, und doch zeigte sie sich sehr glücklich. Ihre Blicke strahlten förmlich vor Zufriedenheit, wenn sie ihre Tochter und den jungen Mann anschaute, während sie zusammen
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