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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Wasser!«
    Das kalte Wasser erschreckte ihn. Er erzählte, er habe das erstemal einen so grausamen Schauer ausgestanden, daß er sich schwur, niemals wieder zu baden. Wenn man ihn hörte, so gab es keine abscheulichere Qual. Dann hatte das Wasser auch gar nichts Einladendes. Denn aus Furcht, die von der Quelle gelieferte Menge könnte nicht genügen, ließen die Patres der Grotte das Wasser der Badeplätze nur zweimal im Tage erneuern, und da nahe an hundert Kranke durch das nämliche Wasser gingen, so kann man sich vorstellen, zu welch schrecklicher Brühe es schließlich wurde. Es war eine gräuliche, aus allen Leiden, allen Wunden, aller Fäulnis hervorgegangene Lache, eine Brutstätte von vergiftenden Keimen, eine Essenz der furchtbarsten Gifte, und das Wunder schien darin zu bestehen, daß man aus diesem menschlichen Unrat lebendig wieder herauskam.
    »Gemach, gemach!« sagte Herr Sabathier wiederholt zu Pierre und dem Marquis, die ihn unter den Schenkeln gefaßt hatten, um ihn zum Bad zu tragen.
    Und er betrachtete mit einem kindischen Schrecken das Wasser, das dickliche Wasser von bleifarbigem Aussehen, auf dem verdächtige, schimmernde Häutchen schwammen. Leinwandstücke trieben darin umher wie Fetzen toten Fleisches.
    »Wir werden Sie jetzt auf die Stufen hinabgleiten lassen«, erklärte der Marquis mit halblauter Stimme.
    Dann empfahl er Pierre, ihn kräftig unter den Achselhöhlen zu halten.
    »Besorgen Sie nichts«, sagte der Priester; »ich werde nicht loslassen.«
    Herr Sabathier wurde langsam hinabgelassen. Man sah nichts mehr als seinen Rücken, einen armen, schmerzensvollen Rücken, der sich in der Schwebe hielt, aufblähte und schauernd mit Wasser bedeckte. Nachdem er untergetaucht war, legte sich der Kopf krampfhaft zurück. Man hörte etwas wie ein Krachen der Knochen, während er den Atem aushauchte, als wollte er ersticken.
    Sofort hatte der Geistliche, der vor dem Baderaum stand, mit neuem Eifer den Ruf angestimmt:
    »Herr! Heile unsere Kranken! Herr! Heile unsere Kranken!«
    Herr von Salmon-Roquebert wiederholte den Ruf. Pierre mußte denselben gleichfalls ausstoßen, und so groß war sein Mitleid mit so viel Schmerzen, daß er ein wenig von seinem Glauben wiederfand. Seit langer Zeit hatte er nicht mehr derart gebetet. Er wünschte, es möchte im Himmel einen Gott geben, dessen Allmacht die elende Menschheit aufrichten könnte. Aber als sie nach Verlauf von drei oder vier Minuten Herrn Sabathier, bleifarben und vor Kälte bebend, mit großer Mühe aus dem Bad herauszogen, da fühlte Pierre noch hoffnungslosere Traurigkeit, als er den Armen so unglücklich und so vernichtet sah, weil er keine Erleichterung spürte. Wiederum ein unnützer Versuch! Die Heilige Jungfrau hatte ihn zum siebentenmal nicht der Erhörung gewürdigt.
    Er drückte die Augen zu; während man ihn wieder ankleidete, rannen zwei große Tränen aus seinen geschlossenen Lidern.
    Hierauf erblickte Pierre den kleinen Gustave Vigneron, der an seiner Krücke eintrat, um sein erstes Bad zu nehmen. Die Familie kniete an der Tür nieder, Vater, Mutter und die Tante Chaise, alle drei behäbig und von musterhafter Frömmigkeit. In der Menge zischelte man heimlich; man sagte, er sei ein höherer Beamter des Finanzministeriums.
    Als aber der Knabe sich zu entkleiden begann, da entstand ein verworrener Lärm. Der Pater Fourcade und der Pater Massias kamen plötzlich und gaben den Befehl, die Eintauchungen auszusetzen. Das große Wunder, die seit dem Morgen inbrünstig erflehte außerordentliche Gnade, die Wiedererweckung des toten Mannes, sollte versucht werden.
    Draußen dauerten die Gebete fort. Es war ein rasender Lärm von Stimmen, die sich in der Hitze des Sommernachmittags am Himmel verloren. Eine bedeckte Bahre kam herein, die die zwei Träger in der Mitte des Saales niederstellten. Es folgten der Baron Suire und Berthaud, einer der Vorsteher des Dienstes. Das Abenteuer brachte das ganze Personal in Bewegung. Zwischen diesen Herren und den zwei Patres von Mariä Himmelfahrt wurden einige Worte mit halblauter Stimme ausgetauscht. Dann fielen die letzteren auf die Knie, breiteten die Arme in Kreuzesform aus und beteten. Ihr Angesicht leuchtete, verklärt von dem brennenden Wunsch, die Allmacht Gottes sich offenbaren zu sehen.
    »Herr! Höre uns! Herr! Erhöre uns!«
    Man trug eben Herrn Sabathier weg. Es waren keine anderen Kranken mehr da als der kleine Gustave, den man halb ausgekleidet auf einem Stuhl vergessen hatte. Die

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