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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Rouquet gefesselt. Diese hielt es für unnütz, wegen der abscheulichen Wunde, von der ihr Gesicht angefressen war, nach den Weihern zu gehen, und begnügte sich damit, seit dem Morgen alle zwei Stunden Abwaschungen vorzunehmen. Sie kniete nieder, breitete ihr Busentuch aus und legte auf die Wunde ein Taschentuch, das sie wie einen Schwamm mit dem wunderbaren Wasser tränkte. Um sie herum stieß sich die Menge in einem solchen Fieber, daß die Leute ihr mißgestaltetes Gesicht nicht mehr sahen, sich wuschen und aus der nämlichen Röhre tranken, an der sie ihr Taschentuch anfeuchtete.
    In diesem Moment ging Cérard vorüber, der Herrn Sabathier nach den Weihern schleppte, und rief Pierre, den er unbeschäftigt sah, zu sich. Er bat ihn, ihm zu helfen, denn der Kranke war nicht bequem von der Stelle zu bewegen und ins Wasser hinabzubringen. Die Weiherräume bestanden aus drei Abteilungen, drei Badeplätzen, in die man auf Stufen hinabstieg und die durch Zwischenwände voneinander geschieden waren. Der Eingang zu jeder Abteilung war mit einem Vorhang versehen, den man herabziehen konnte, um den Kranken abzusondern. Davor lag ein mit Steinplatten belegtes, nur mit einer Bank und zwei Stühlen ausgestattetes Zimmer, das als Wartesaal diente. Dort entkleideten sich die Kranken und bekleideten sich hernach wieder mit einer ungeschickten Hast, einer unruhigen, schamhaften Besorgnis. Ein nackter Mann war dort, der sich halb in den Vorhang einhüllte, um mit zitternden Händen einen Verband wieder anzulegen. Ein anderer, schwindsüchtig und von erschrecklicher Magerkeit, zitterte vor Kälte und röchelte. Seine bleigraue Haut war mit violetten Flecken gestreift wie ein Zebra. Pierre fühlte eine besondere Teilnahme für den Bruder Isidor, den man aus einem Bad herauszog. Er war ohnmächtig, einen Augenblick hielt man ihn für tot, dann erholte er sich wieder und stieß Klagerufe aus. Dieser große, durch das Leiden ausgedörrte, an der Hüfte von einer eiternden Wunde durchlöcherte Leib, der einem auf die Metzgerbank geworfenen Fetzen Menschenfleisch ähnelte, war zum Erbarmen. Die zwei Pfleger, die ihn gebadet hatten, mußten alle erdenkliche Sorge anwenden, ihm sein Hemd wieder anzuziehen. Sie fürchteten, er könne ihnen unter den Händen sterben.
    »Herr Abbé! Sie werden mir helfen, nicht wahr?« fragte der Helfer, der Herrn Sabathier entkleidete.
    Pierre zeigte sich sofort bereit, und als er diesen mit so niedrigen Amtsverrichtungen beschäftigten Krankenwärter betrachtete, da erkannte er in ihm den Marquis von Salmon-Roquebert, den ihm Herr von Guersaint beim Herabkommen vom Bahnhof gezeigt hatte. Als letzter Repräsentant einer der ältesten und berühmtesten Familien Frankreichs besaß er ein beträchtliches Vermögen, ein königlich ausgestattetes Hotel in Paris, Rue de Lille, und unermeßliche Ländereien in der Normandie. Jedes Jahr, während der dreitägigen nationalen Pilgerfahrt, kam er nach Lourdes, aus reiner christlicher Liebe. Er bestand darauf, kein besonderes Amt zu übernehmen, er wollte ein einfacher Pfleger bleiben, der die Kranken badete, und dessen Hände vom Morgen bis zum Abend beschäftigt waren, Lumpen aufzuräumen, Verbände abzunehmen und wieder anzulegen.
    »Geben Sie acht!« empfahl er Pierre, »ziehen Sie die Strümpfe ohne Übereilung aus. Soeben ist bei jenem armen Mann, den man dort wieder ankleidet, ein Ausfluß eingetreten.«
    Und als er Herrn Sabathier einen Augenblick verließ, um dem Unglücklichen die Schuhe wieder anzuziehen, da fühlte er unter seinen Fingern, daß der linke inwendig naß war: Eiter war ausgelaufen und füllte die Spitze des Schuhes an. Er mußte ihn draußen ausleeren, bevor er ihn mit unendlichen Vorsichtsmaßregeln wieder an den Fuß des Kranken zog, wobei er es vermied, das von einem Geschwür angefressene Bein zu berühren.
    In dem kleinen Saal waren nur die Kranken und die mit der Bedienung der Weiher beauftragten Krankenpfleger anwesend. Auch ein Geistlicher war da, der die Pater und Aves hersagte. Die Gebete durften keinen Augenblick aufhören. Die inbrünstigen Bitten der Volksmenge drangen mit fortwährendem Geschrei herein, während man die grelle Stimme des Kapuziners ohne Unterbrechung den Ruf wiederholen hörte: »Herr! Heile unsere Kranken! Herr! Heile unsere Kranken!«
    Endlich war Herr Sabathier nackt. Man hatte ihm nur eine schmale Schürze um den Bauch geknotet.
    »Ich bitte Sie«, sagte er, »tauchen Sie mich nur ganz allmählich in das

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