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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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antwortete er:
    »Ganz und gar allein. Mein Amt als Arzt der Grotte ist nicht so kompliziert, denn ich wiederhole, es besteht einfach darin, die Heilungen festzustellen, sobald sich eine Heilung vollzieht.«
    Er verbesserte sich jedoch, indem er lächelnd hinzufügte:
    »Ah! Ich vergaß! Ich habe ja Raboin, der mir hilft, hier ein wenig Ordnung zu schaffen.«
    Und mit einer Handbewegung bezeichnete er einen dicken, etliche vierzig Jahre alten, schon ergrauenden Mann mit plumpem Gesicht und den Kinnladen einer Dogge. Dieser war gläubig bis zum Fanatismus, ein überspannter Mensch, der nicht zugab, daß man an die Wunder rührte. Darum litt er auch unter seiner Tätigkeit im Büro der Beurkundungen und knurrte immer vor Zorn, sobald man daran zweifelte. Der Appell an die Ärzte hatte ihn außer sich gebracht, so daß ihn der Doktor beruhigen mußte.
    »Lassen Sie doch, Raboin, mein Freund! Schweigen Sie! Alle aufrichtigen Meinungen haben das Recht, sich kundzugeben.«
    Aber jetzt kamen die Kranken der Reihe nach an. Man brachte einen Mann herbei, dessen ganzen Rumpf ein Bläschenausschlag bedeckte. Als er das Hemd auszog, fiel von seiner Haut ein graues Mehl herab. Er war nicht geheilt. Er behauptete bloß, daß er jedes Jahr nach Lourdes käme und jedesmal erleichtert wieder abreise. Dann war eine Dame da, eine Gräfin von entsetzlicher Magerkeit mit einer außerordentlichen Geschichte: Nachdem sie sieben Jahre früher von der Heiligen Jungfrau ein erstes Mal von einer Lungenschwindsucht geheilt worden war, hatte sie vier Kinder bekommen. Darauf wiederum der Schwindsucht verfallen, war sie jetzt morphiumsüchtig. Aber schon durch ihr erstes Bad gestärkt, nahm sie sich vor, schon am Abend mit den siebenundzwanzig Personen ihrer Familie, die sie mitgebracht hatte, der Fackelprozession beizuwohnen. – Hierauf trat eine von nervöser Sprachlosigkeit befallene Frau ein. Nachdem sie monatelang ganz stumm gewesen war, erhielt sie plötzlich, zur Zeit der Vieruhrprozession, beim Vorüberziehen des heiligen Sakraments die Sprache wieder.
    »Meine Herren!« erklärte Doktor Bonamy mit dem angenommenen feinen Ton eines Gelehrten von sehr weiten Ideen, »Sie wissen, daß wir uns die Entscheidung der Fälle nicht vorbehalten, sobald es sich um einen Nervenzufall handelt. Bemerken Sie trotzdem, daß diese Frau während sechs Monaten in der Salpetrière ärztlich behandelt worden ist und daß sie hierherkommen mußte, um das Band ihrer Zunge auf einmal gelöst zu sehen.«
    Trotzdem zeigte er einige Ungeduld, denn er hätte dem Pariser Herrn einen schönen Fall vorführen mögen, wie sich deren bisweilen während dieser Vieruhrprozession ereigneten. Sie war die Stunde der Gnade und der Begeisterung, zu der die Heilige Jungfrau für ihre Auserwählten Fürbitte einlegte. Die Heilungen, die sich bis jetzt der Reihe nach gezeigt hatten, waren alle zweifelhaft und ohne Interesse gewesen. Draußen hörte man ein Getrampel von Füßen und das, dumpfe Gemurmel der Menge, die von Kirchenliedern erregt und erhitzt durch das erbitterte Verlangen nach dem, Übernatürlichen in Fieberwahn versetzt wurde und die in der Erwartung immer nervöser wurde.
    Jetzt trat aber ein Mädchen ein, lächelnd und bescheiden, mit hellen, von Vernunft leuchtenden Augen.
    »Ach!« rief der Doktor freudig, »da ist ja unsere kleine Freundin Sophie. Meine Herren! Eine bemerkenswerte Heilung, die sich im letzten Jahr zu ähnlicher Zeit ereignet hat und deren Erfolg ich Ihnen zeigen möchte.«
    Pierre hatte die durch ein Wunder geheilte Sophie Couteau wiedererkannt, die in Poitiers in sein Abteil eingestiegen war. Er wohnte nun einer Wiederholung der Szene bei, die sich schon vor ihm abgespielt hatte. Doktor Bonamy gab jetzt dem kleinen, blonden, sehr aufmerksam zuhörenden Herrn die umständlichsten Erklärungen: ein Knochenfraß an der linken Ferse, der Anfang eines Brandes, der das Herausschneiden des Knochens notwendig machte und eine entsetzliche eiternde Wunde verursachte, war in einer Minute beim ersten Eintauchen in den Weiher geheilt worden.
    »Sophie! Erzählen Sie es dem Herrn!«
    Die Kleine nahm ihre hübsche, die Aufmerksamkeit festhaltende Haltung an.
    »Ja«, begann sie, »mein Fuß war verloren. Ich konnte nicht einmal mehr in die Kirche gehen, und man mußte ihn stets in Leinwand einwickeln, denn es flossen Dinge heraus, die gar nicht sauber waren. Herr Rivoire, der Arzt, der einen Schnitt gemacht hatte, um hineinzusehen, sagte, man müsse ein

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