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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Stück vom Knochen wegnehmen. Davon hätte ich ganz sicher gehinkt. Nachdem ich inbrünstig zur Heiligen Jungfrau gebetet hatte, habe ich meinen Fuß in das Wasser getaucht mit einem so großen Verlangen, geheilt zu werden, daß ich mir nicht einmal die Zeit nahm, die Leinwand wegzumachen. Und alles ist im Wasser zurückgeblieben. Als ich meinen Fuß herauszog, war alles weg.«
    Doktor Bonamy folgte ihrer Rede und billigte jedes Wort mit einem Kopfnicken.
    »Wiederholen Sie uns, Sophie, was Ihr Arzt sagte!«
    »Daheim, als Herr Rivoire meinen Fuß sah, da hat er gesagt: ›Sei es der liebe Gott oder der Teufel, der dieses Kind geheilt hat, mir gilt das gleich: aber wahr ist's, daß es geheilt ist.‹«
    Schallendes Gelächter brach los, das Wort hatte seine sichere Wirkung.
    »Und, Sophie, was sagten Sie zur Frau Gräfin, der Direktorin Ihres Saales?«
    »Ach ja. Ich hatte für meinen Fuß nicht viel Leinwand mitgenommen, drum sagte ich zu ihr: ›Die Heilige Jungfrau ist sehr gütig gewesen, mich gleich am ersten Tag zu heilen, denn bis morgen wäre mein Vorrat erschöpft gewesen.‹«
    Es erhob sich ein neues Gelächter, und man gab sich allgemein zufrieden, als man sie so artig sah. Sie erzählte ihre Geschichte etwas zu oft, so daß sie sie schließlich auswendig wußte, aber sie war sehr rührend und schien glaubwürdig.
    »Sophie!« befahl der Doktor, »ziehen Sie den Schuh aus und zeigen Sie diesen Herren Ihren Fuß. Man muß anfühlen, niemand soll zweifeln dürfen.«
    Flink erschien der kleine, sehr weiße und sehr saubere, sogar sorgfältig gepflegte Fuß mit der Narbe unter dem Knöchel, einer langen Narbe, deren weißliche Naht Zeugnis für die Bedenklichkeit des Leidens ablegte. Einige Ärzte hatten sich genähert und betrachteten sie stillschweigend. Andere, die sich ohne Zweifel eine Überzeugung gebildet hatten, rührten sich nicht aus ihrer Stellung. Einer fragte mit sehr höflicher Miene, warum die Heilige Jungfrau, da sie doch einmal daran war, nicht einen ganz neuen Fuß gemacht habe, was ihr gewiß nicht mehr ausgemacht hätte. Doktor Bonamy erwiderte jedoch lebhaft, wenn die Heilige Jungfrau eine Narbe zurückließ, so sei dies sicher deshalb geschehen, damit eine Spur, ein Beweis des Wunders bestünde. Er ging auf technische Einzelheiten ein und zeigte, daß ein Knochensplitter sowie ein Teil des Fleisches in einem Nu wiederhergestellt werden mußten, das bliebe aber auf natürlichem Wege unerklärbar.
    »Mein Gott!« unterbrach ihn der kleine blonde Herr, »es bedarf keiner so großen Umstände. Man zeige mir bloß einen Finger, der mit einem Federmesser geschnitten wurde und vernarbt aus dem Wasser herauskommt. Das Wunder wird ebenso groß sein, und ich werde mich beugen.«
    Dann fügte er hinzu:
    »Wenn ich eine Quelle hätte, die die Wunden schlösse, würde ich die Welt umstürzen. Ich weiß nicht, wie ich die Sache angriffe, aber ich würde die Völker herbeirufen, und die Völker würden kommen. Ich ließe die Wunder mit solch unumstößlicher Gewißheit vor aller Augen feststellen, daß ich zum Herrn der Erde würde. Denken Sie doch nur an diese außerordentliche, wahrhaft göttliche Macht! Aber es dürfte kein Zweifel bestehen bleiben: die Wahrheit müßte hell und klar wie die Sonne erstrahlen. Die ganze Erde würde kommen und glauben.«
    Er erörterte mit dem Doktor die Mittel zu einer Kontrolle. Er hatte zugegeben, daß nicht alle Kranken bei ihrer Ankunft untersucht werden könnten. Aber warum richtete man im Spital keinen eigenen, für die offenen Wunden bestimmten Saal ein? Man hätte da höchstens etliche dreißig Personen, die man einer Kommission zur vorherigen Untersuchung übergeben könnte. Es müßten Befundsprotokolle aufgenommen und sogar die Wunden photographiert werden. Wenn sich nachher eine Heilung zeigte, so hätte die Kommission diese Tatsache nur in einem neuen Protokoll zu beurkunden. Und es würde sich da nicht mehr um innerliche Krankheiten handeln, deren Diagnose schwierig und stets bestreitbar sei. Die Dinge würden vor aller Augen liegen.
    Ein wenig verlegen wiederholte Doktor Bonamy:
    »Ohne Zweifel! Ohne Zweifel! Wir verlangen nur Licht. Die Schwierigkeit bestünde darin, diese Kommission zusammenzusetzen. Wenn Sie wüßten, wie wenig man einander versteht ... Aber es ist sicherlich eine Idee ...«
    Er wurde unterstützt durch die Ankunft einer neuen Kranken. Während die kleine, schon vergessene Sophie Couteau ihren Schuh wieder anzog, erschien Elise

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