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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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zur Buße, eine Quelle sprudelte empor, und Wunder wurden kund, die die immer zahlreicher herbeidrängenden, riesigen Volksmassen in Erstaunen und Entzücken versetzten.
    Ach, diese ersten Wunder von Lourdes! Welche Frühlingsblütenpracht des Trostes und der Hoffnung erweckten sie in den Herzen der Elenden, die von Armut und Krankheit verzehrt wurden! Das geheilte Auge des alten Bouriette, das im eisigen Wasser auferstandene Kind Bouhohorts, Taube, die ihr Gehör, Hinkende, die ihren geraden Gang wieder erlangten, und so viele andere, wie Blaise Maumus, Bernade Soubies, Auguste Bordes, Blaisette Soupenne, Benoite Cazeaux, die von den schlimmsten Leiden erlöst worden waren, wurden zu Gegenständen endloser Gespräche und erhitzten die Einbildungskraft aller Menschen, die in ihrem Herzen oder in ihrem Fleisch litten. Am Donnerstag, dem vierten März, dem letzten Tag der von der Heiligen Jungfrau verlangten fünfzehn Besuche, befanden sich mehr denn zwanzigtausend Personen vor der Grotte. Und diese unermeßliche Menge fand das, wonach sie hungerte: die Nahrung aus Göttlichem, ein Festmahl voller Wunder, genug des Unmöglichen, um ihren Glauben an eine höhere Gewalt zu befriedigen, an eine Macht, die die Gnade hatte, sich mit den armen Menschen abzugeben, und die auf glänzende Weise einschritt, um in den kläglichen Zuständen auf Erden wieder ein wenig Gerechtigkeit und Güte herzustellen. Der Ruf der göttlichen Liebe erscholl, die unsichtbare hilfreiche Hand streckte sich endlich aus, um die ewige Wunde des Menschengeschlechts zu verbinden! Ach, dieser Traum, den jede Generation aufs neue träumte, mit welch unzerstörbarer Kraft trieb er Blätter und Blüten bei den Enterbten, sobald er ein günstiges, durch die Umstände vorbereitetes Erdreich gefunden hatte! Vielleicht waren seit Jahrhunderten nicht alle Bedingungen so zusammengetroffen, um den mystischen Herd des Glaubens zu entflammen wie in Lourdes.
    Eine neue Religion begann sich zu gründen, und sofort brachen auch die Verfolgungen los, denn die Religionen gedeihen nur unter Martern und Empörungen. Wie ehemals in Jerusalem, als sich das Gerücht von den beim Vorüberziehen des erwarteten Erlösers emporblühenden Wundern verbreitete, so gerieten auch hier die Zivilbehörden in Leidenschaft und setzten sich in Bewegung: der Staatsanwalt, der Friedensrichter, der Bürgermeister und vor allem der Präfekt von Tarbes. Gerade der Präfekt war ein aufrichtiger, strenger Katholik von unbedingter Rechtschaffenheit. Aber er besaß den harten Kopf eines Verwaltungsbeamten und war ein leidenschaftlicher Verteidiger der guten Ordnung, erklärter Gegner des Fanatismus, aus dem Aufruhr und religiöses Verderbnis entspringen. Natürlich hatte er in Lourdes einen Polizeikommissar unter seinen Befehlen, einen durchaus verständigen und folgsamen, überdies sehr korrekten Mann, der rechtmäßigerweise in der Sache der Erscheinungen eine Gelegenheit erblickte, seine Begabung als gewandter, scharfsinniger Beamter zu erproben. Und so begann der Kampf. Am ersten Fastensonntag, gleich nach den ersten Visionen ließ der Polizeikommissar Bernadette in sein Kabinett kommen, um sie zu verhören. Vergeblich zeigte er sich freundlich, dann aufbrausend und drohend: er brachte immer nur die nämlichen Antworten aus dem Mädchen heraus. Die Geschichte, die es erzählte mit ihren langsam erweiterten Einzelheiten, hatte sich in seinem kindlichen Kopf nach und nach unwiderruflich festgesetzt. Und bei diesem armen, duldenden, an Hysterie leidenden Geschöpf war die Erzählung keine Lüge. Sie entstand aus der unbewußten, oftmaligen Beschäftigung damit, und aus dem unheilbaren Mangel an Willenskraft, sich die erste Halluzination aus dem Sinn zu schlagen. Sie verstand nicht zu wollen, konnte nicht wollen und besaß nicht den Willen zum Wollen. Ach, das unglückliche Kind, das teure, liebenswürdige, sanfte, eines bösen Gedankens unfähige Mädchen! Schon damals war sie für das Leben verloren. Sie wurde gekreuzigt von ihrer fixen Idee, von der man sie nur durch einen Wechsel ihrer Umgebung hätte losreißen können, wenn man sie in die weite freie Luft, in irgendeine Gegend voll hellen Lichts und zärtlicher Menschenliebe gebracht hätte. Aber sie war die Auserwählte, sie hatte die Jungfrau gesehen, und darunter sollte ihr ganzes Dasein leiden, daran sollte sie zugrunde gehen.
    Pierre, der Bernadette gut kannte und ihrem Andenken ein brüderliches Mitleid, die Glut, die man für eine

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