Love is a Miracle
mussteetwas geschehen. Ich wusste doch, dass David Mom erzählen würde, was ich getan hatte. Dass er ihr sagen würde, was er in meinem Gesicht gesehen hatte.
»Meggie, ich weiß, er will immer im Mittelpunkt stehen, und das ist manchmal nicht leicht für dich … Aber trotzdem möchte ich nicht, dass du … Bitte sag so was nicht zu ihm. Das ist einfach nicht nett.«
Ich starrte sie im Spiegel an, wie sie an meinen Haarspitzen herumfingerte, sie unter meinen Kragen steckte, damit sie gleich lang aussahen. »Wir sollten mal nach Derrytown fahren und dir die Haare schneiden lassen. Was meinst du?«, sagte sie, ohne mich anzusehen, und ich wusste, dass sie nichts weiter sagen würde. Sie hatte mitbekommen, dass etwas passiert war, dass David etwas in mir gesehen hatte, etwas Gestörtes, Gebrochenes, und sie wollte nicht wissen, was es war. Wollte es nicht sehen.
Und würde es auch nicht sehen.
Ich musste weg von ihr. Ich legte meine Zahnbürste hin, ging an ihr vorbei die Treppe hinunter, riss die Haustür auf, und die Nachtluft schlug mir warm entgegen.
»Meggie-Schätzchen«, rief Mom und rannte mir nach, und eine Sekunde lang flackerte etwas wie Hoffnung in mir auf. Ich drehte mich zu ihr um.
»Hier«, sagte sie und reichte mir meine Laufschuhe und ein Paar Socken. »Du kannst doch nicht barfuß rausgehen. Und komm nicht so spät nach Hause, ja? Du weißt doch, wie dein Vater sich um dich sorgt.«
Und das war’s. Mehr kam nicht von ihr. Es war Nacht. Ich ging wieder mitten in der Nacht laufen, und Mom … ich riss ihr die Schuhe aus der Hand und wandte mich abrupt ab.
Dann rannte ich los. Zog meine Schuhe in der Einfahrt an und raste den Weg hinunter. Die Bäume machten mir jetzt nichts, waren nur dunkle Schatten, und was war das schon, ein Schatten?
Nichts. Gar nichts. Und ich wusste ja, wie wichtig es für meine Eltern war, dass ich den Absturz unversehrt überlebt hatte, dass es mir gut ging. Dass ich ein Wunder war, etwas ganz Besonderes.
Aber, dass sie einfach die Augen zumachen würden, obwohl sie wussten, dass mit mir etwas nicht stimmte, hätte ich nicht gedacht. Dass sie einfach so tun würden, als sei alles nicht wahr.
Aber genau so war es. Schon die ganze Zeit.
Ich lief zur Ortsmitte, dann auf der anderen Seite wieder hinaus, bis ich so schlimmes Seitenstechen hatte, dass ich kaum noch atmen konnte.
Es half aber nichts und schließlich hielt ich keuchend an. Mir tat alles weh und meine Lunge brannte wie Feuer. In Reardon gibt es nicht viele Straßenlampen, nur ein paar Lichtpfützen, die aus den Häusern fallen, winzige Halbmonde auf dem Rasen der Vorgärten, die mich nicht ganz erreichten. Ich wartete, dass die Dunkelheit mir Angst machte, dass ich beim leisen Ächzen des Windes in den Bäumen die Nerven verlor.
Aber nichts dergleichen. Ich war gern im Dunkeln.Und ich war froh, dass mich niemand sehen konnte. Ich ging und ging, bis ich zu der Straße kam, die um den Ort herumführt, die sich von den Hügeln hinter den Reardon-Logging-Gebäuden in den Ort hinunter – und dann wieder zu den Hängen auf der anderen Seite hinaufzieht, wo die Büros der Parkverwaltung liegen. Und der Flughafen.
Ich kickte ein paar lose Kieselsteine am Straßenrand in die Luft und trat beiseite, um einem Lieferwagen auszuweichen, der um die Kurve kam. Es war Mr Reynolds, das hörte ich sofort. Als Joes Dad den Job als Sattelschlepperfahrer bekam, kaufte er sich als Erstes einen neuen Pick-up und manipulierte am Schalldämpfer herum, sodass man ihn bei jeder Motorumdrehung die ganze Straße hinunter hören konnte. Wahrscheinlich wollte er den neuen Freund seiner Exfrau ärgern, denn eine Zeit lang fuhr er ziemlich oft an seinem Haus vorbei.
Als er weg war, lief ich in den Ort zurück. Mr Reynolds musste auf dem Weg zu Beth gewesen sein, denn wenn er zu Hause war, saß er entweder im Wohnzimmer und trank oder er fuhr zu Beths Grab und trank dort. Beths Grab war auf dem Gemeindefriedhof weiter oben an der Straße, auf der mich der Pick-up überholt hatte.
Irgendwie lauerte überall der Tod, wo ich auch hinkam. Ich zitterte und hörte auf zu laufen. Ich war noch nicht wieder im Ort, aber ich … ich wollte auch nirgends hin. Ich stand in der sogenannten »Feuerzone«, einem Graben, der Reardon einfasst und als Puffer zwischen dem Ort und dem Wald dient. Diese Feuerzonestammt noch von den ersten Siedlern, die aus einer anderen Holzfällergemeinde kamen und alles bei einem Brand verloren hatten, der vom Wald auf
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