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Love Train

Love Train

Titel: Love Train Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Lankers
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Knien. Das war keine gute Voraussetzung, um halbwegs lesbare Wörter zu Papier zu bringen.
    Schmollen war unter diesen Umständen definitiv leichter. Juli sah regelrecht elegant dabei aus: Sie hatte den Kopf gegen die Wand gelehnt, das Kinn leicht angehoben, die Unterlippe ein winziges Stückchen vorgeschoben, und ihr Blick ging exakt zehn Zentimeter über mich hinweg. Es waren fast vierundzwanzig Stunden vergangen, seit ich beschlossen hatte, dass die nächste Aufgabe sein würde, ein Lied am Grab von Jim Morrison zu singen – und meine Schwester hatte mir bislang nicht verziehen.
    Ob das mit dem Singen so eine gute Idee gewesen war, fragte ich mich allerdings auch. Immerhin bildeten Juli und ich ein Team, da war es nicht geschickt, eine Aufgabe zu formulieren, die sie eventuell nicht lösen konnte, denn dann rückten die Tickets für das Konzert in weite Ferne. Wir standen gerade so gut da – ein Punkt Vorsprung vor den Jungs –, dass ich das vermutlich besser nicht riskiert hätte. Andererseits war ich mir sicher, dass Juli nicht kneifen würde. Sie würde singen, aber sie würde es hassen. Und ehrlich gesagt fand ich die Vorstellung gar nicht so schlecht – als kleine Strafe dafür, dass sie mich dazu gebracht hatte, überhaupt bei diesem Spiel mitzumachen.
    Â»Excuse-moi.« Ich schreckte hoch, als der junge Mann, der direkt neben mir auf seinem Rucksack hockte, mich auf Französisch ansprach. Den ersten zwei Wörtern folgten mehrere rasend schnelle Sätze, die für mich wie das reinste Kauderwelsch klangen. Ich hatte erst letztes Jahr mit diesem Fach angefangen und meine Freundin Sue und ich fanden unseren süßen Lehrer Thierry Dupont wesentlich interessanter als die Sprache selbst. Also starrte ich den jungen Franzosen neben mir, der mit seinen schulterlangen Locken und dem Dreitagebart sogar ein bisschen wie Thierry aussah, nur mit leerem Blick an.
    Â»Er fragt, ob du ihm ein Blatt geben kannst«, sprang meine superschlaue Schwester ein. (Sie hatte Kunst und Französisch als Leistungskurse belegt!)
    Â»Oh, you are German!«, wechselte Monsieur Lockenkopf ins Englische. Sein Akzent hörte sich sehr niedlich an.
    Ich nickte und riss ihm ein Blatt aus meiner Kladde, wofür er sich überschwänglich bedankte. Dann widmete ich mich wieder meinem Tagebuch, aber Juli hatte endlich ihr nächstes Opfer gefunden. Da ich nichts verstand, hatte ich keine Chance, die beiden zu belauschen, aber sie schienen sich super zu unterhalten. Was mich ohnehin mehr interessiert hätte, war, was der Typ die ganze Zeit auf mein kariertes Blatt kritzelte, während er mit meiner Schwester redete – aber er hielt es so, dass ich es nicht sehen konnte.
    Erst in Amiens wurde meine Neugier endlich befriedigt. Wir mussten umsteigen und fast eine Dreiviertelstunde auf unseren Anschlusszug nach Paris warten. Monsieur Lockenkopf – sein Name war Auguste, teilte Juli mir mit – fuhr von Amiens weiter nach Le Havre und musste einen anderen Zug nehmen. Wir trennten uns nach französischer Art mit einer »Bise« (wie uns Auguste nun wieder auf Englisch erklärte): Küsschen auf die rechte Wange und Küsschen auf die linke Wange – die Küsschen, die ich bekam, gingen eher in die Luft neben meinem Gesicht, Juli bekam zwei fette Knutscher. Dann nahm uns Auguste noch das feste Versprechen ab, nicht aus Paris abzureisen, bevor wir die Skulpturen seines Namensvetters Auguste Rodin gesehen hatten. Juli schwor es bei allem, was ihr heilig war – und ich fragte mich, ob sie tatsächlich vorhatte, freiwillig einen Fuß in ein Museum zu setzen.
    Nachdem Auguste verschwunden war, standen Juli und ich also allein am Bahnsteig herum, und plötzlich zog sie den karierten Zettel aus ihrer Handtasche und sagte: »Guck mal. Ist das nicht cool?« Sie schien vergessen zu haben, dass sie eigentlich noch sauer auf mich war.
    Ich schaute hin und stellte fest: Es war cool. Auguste hatte ein Porträt von meiner Schwester gezeichnet, ein richtig gutes. Aber das eigentlich Coole daran war nicht, wie genau er meine Schwester getroffen hatte, sondern dass er sie gezeichnet hatte wie eine dieser Figuren, auf denen Designer ihre Modelle darstellen. Die Juli auf der Zeichnung trug ein ziemlich gewagtes Abendkleid mit schulterfreiem Ausschnitt, langen Ärmeln und einem Rock, der vorn ultrakurz war und hinten in einer Schleppe endete. Es sah ein

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