Love
unter dem verdammten Lecker-Baum gesessen.
Manchmal wünschte sie, sie wäre ihm nie begegnet.
»Das ist nicht wahr«, flüsterte sie der halbdunklen Scheune zu, empfand jedoch gleichzeitig das tote Gewicht seines Büros als Widerlegung – all die Bücher, all die Geschichten, all das vergangene Leben. Sie bereute ihre Ehe nicht, aber trotzdem, manchmal wünschte sie sich, sie hätte ihren unruhigen und beunruhigenden Mann nie kennengelernt. Hätte an seiner Stelle einen anderen lieben gelernt. Zum Beispiel einen netten Programmierer in gesicherter Stellung, der siebzigtausend Dollar im Jahr verdiente und von dem sie drei Kinder bekommen hätte. Zwei Jungen und ein Mädchen, einer inzwischen erwachsen und verheiratet, die beiden ande ren noch im Studium. Aber das war nicht das Leben, das sie sich ausgesucht hatte. Oder das sich sie ausgesucht hatte.
Anstatt sich sofort dem Bremer Bett zuzuwenden (sie be fürchtete, das wäre zu viel, zu bald), wandte Lisey sich ihrem kümmerlichen kleinen Büro-Ersatz zu, öffnete die Tür und betrachtete es kritisch. Was hatte sie hier drin tun wollen, während Scott oben seine Geschichten schrieb? Sie wusste es nicht genau, aber sie merkte jetzt, was sie hergeführt hatte: der Anrufbeantworter. Sie betrachtete die leuchtend rote 1 in dem Fenster, unter dem NICHT ABGEHÖRTE NACHRICHTEN stand, und fragte sich, ob sie Deputy Alston hereinrufen soll te. Sie entschied sich dagegen. Falls der Anruf von Dooley war, konnte sie ihm die Nachricht auch später vorspielen.
Natürlich ist er von Dooley – von wem sonst?
Sie wappnete sich gegen weitere Drohungen, vorgetragen mit dieser ruhigen, vordergründig vernünftigen Stimme, und drückte den Abspielknopf. Im nächsten Augenblick erläu terte eine junge Frau namens Emma die wirklich außeror dentlichen Ersparnisse, die Lisey erwarteten, wenn sie zur MCI wechselte. Lisey unterbrach diese begeisterte Schilderung mit ten im Satz, drückte auf LÖSCHEN und dachte: So viel zu weiblicher Intuition.
Anschließend verließ sie lachend das Büro.
1O Lisey betrachtete die verhüllten Umrisse des Bremer Bettes ohne Schmerz oder Nostalgie, obwohl Scott und sie sich darin Hunderte von Malen geliebt – oder jedenfalls darin gefickt – hatten; sie konnte sich nicht genau daran erinnern, wie viel Liebe es während SCOTT UND LISEY IN DEUTSCHLAND gegeben hatte. Hunderte von Malen? War das in einem Zeit raum von nur neun Monaten überhaupt möglich, zumal es Tage, manchmal ganze Arbeitswochen gegeben hatte, in denen sie ihn von sieben Uhr morgens, wenn er wie ein Schlafwandler und mit gegen sein Knie schlagendem Aktenkoffer aus der Haustür gewankt war, bis zehn oder Viertel nach zehn abends, wenn er – meistens leicht angetrunken – hereingeschlurft kam, nicht zu Gesicht bekommen hatte? Ja, vermutlich war das möglich, wenn man ganze Wochenenden mit etwas verbrachte, was Scott manchmal als »Schmickeramas« bezeichnet hatte. Weshalb sollte sie, unabhängig davon, wie oft sie darin gevögelt hatten, irgendwelche Zuneigung für diese stumme, verhüllte Monstrosität empfinden? Sie hatte mehr Grund, dieses Bett zu hassen, denn auf irgendeine Weise, die nicht intuitiv, sondern vielmehr das Ergebnis unbe wusster Logik war ( Lisey ist clever wie der Teufel, solange sie nicht darüber nachdenkt, hatte sie Scott einmal auf einer Par ty sagen gehört und nicht gewusst, ob sie sich geschmeichelt fühlen oder genieren sollte), war ihr bewusst, dass ihre Ehe in diesem Bett beinahe zerbrochen wäre. Unabhängig davon, wie frivol-gut ihr Sex gewesen war oder dass er sie mühelos zu mehrfachen Orgasmen gebracht und sie mit sich fortgewirbelt hatte, bis sie glaubte, vor nervenaufpeitschendem Vergnügen vergehen zu müssen; unabhängig von jener von ihr entdeckten geheimen Stelle, die sie berühren konnte, bevor er kam, worauf er manchmal nur erzitterte, manchmal jedoch auch aufschrie, und davon bekam sie am ganzen Leib eine Gänsehaut, selbst wenn er tief in ihr und so heiß wie … nun, so heiß war wie ein Brutofen. Sie fand es ganz richtig, dass das gottverdammte Ding wie ein riesiger Leichnam verhüllt war, denn zumindest in ihrer Erinnerung war alles, was sich darin zwischen ihnen abgespielt hatte, falsch und gewalttätig gewesen: ein schüttelnder Würgegriff nach dem anderen an der Kehle ihrer Ehe. Liebe? Sich lieben? Viel leicht. Vielleicht einige Male. Aber vor allem erinnerte sie sich an einen hässlichen Fick nach dem anderen. Würgen … und
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