Love
ganz aufgegeben. Der Mann, der in einem Motel schreiben kann, an dem der Verkehr achtspurig vorbeibrandet und in dem über ihm Studenten feiern, hat es völlig und vollständig abgeschnallt. Aber er brütet nicht darüber nach, jedenfalls nicht erkennbar. Statt zu schreiben, verbringt er lange, ausgelassene, höchst anstrengende Wo chenenden mit seiner Frau. Oft trinkt sie mit ihm und betrinkt sich wie er, denn außer mit ihm zu vögeln, fällt ihr nichts anderes mehr ein. Es gibt trübselige verkaterte Montage, an denen Lisey tatsächlich froh ist, ihn aus dem Haus gehen zu sehen, aber wenn es dann abends nach zehn wird und er noch immer nicht wieder da ist, sitzt sie immer an dem Wohnzimmerfenster, das auf die Ringstraße hinausführt, wartet sor genvoll auf den geleasten Audi, den er fährt, und fragt sich, wo er ist und mit wem er trinkt. Wie viel er trinkt. Es gibt Samstage, an denen er sie dazu überredet, mit ihm in dem großen, zugigen Haus umständlich Verstecken zu spielen; er behauptet, dass einem dabei warm werde, und wenigstens in dieser Beziehung hat er recht. Oder sie spielen Fangen, verfol gen sich die Treppen hinauf und hinab, toben in ihren alber nen Lederhosen die Flure entlang und lachen wie zwei ver rückte (von geil ganz zu schweigen) Kids, während sie ihre deutschen Schlagworte plärren: Achtung! und Jawohl! und Ich habe Kopfschmerzen! und – am häufigsten – Mein Gott! Meistens enden diese albernen Spiele mit Sex. Mit oder ohne Alkohol (meistens jedoch mit) will Scott in diesem Winter dauernd Sex, und sie ist überzeugt, dass sie es in allen Räu men, auch im Bad, in den Klos und sogar in einem der Ein bauschränke getrieben haben, bevor sie aus dem zugigen Haus in der Bergenstraße ausziehen. Der viele Sex ist auch einer der Gründe dafür, warum sie sich nie (nun, fast nie) Sor gen macht, er könnte eine Affäre haben – trotz seiner langen Abwesenheiten, trotz seiner Sauferei und obwohl er nicht tut, wofür er geschaffen ist, nämlich Geschichten zu schreiben.
Aber natürlich tut auch sie nicht, wofür sie geschaffen ist, und hin und wieder wird ihr diese Tatsache bewusst. Sie kann nicht sagen, dass er sie in dem Punkt irregeführt oder auch nur im Unklaren gelassen hatte; nein, das wäre gelogen. Er hat es ihr zwar nur ein einziges Mal gesagt, aber bei dieser Gelegenheit war er ganz offen: Kinder dürfe es keine geben. Falls sie das Gefühl hatte, dass sie unbedingt Kinder haben wollte – und er wusste, dass sie aus einer kinderreichen Fami lie stammte –, dann konnten sie nicht heiraten. Das würde ihm zwar das Herz brechen, aber wenn sie darauf bestand, musste es eben so sein. Das hatte er ihr unter dem Lecker-Baum gesagt, als sie von dem merkwürdigen Oktoberschnee eingeschlossen gewesen waren. Die Erinnerung an dieses Gespräch gestattet sie sich nur an den einsamen Werktagnachmittagen in Bremen, wo der Himmel stets weißlich und die Stunde ungewiss ist, wo endlos die schweren Laster vorbeirumpeln und das Bett unter ihr erzittern lassen. Das Bett, das er gekauft hat und später allen Widerständen zum Trotz nach Amerika verschiffen lassen wird. Oft liegt sie in diesem Bett, einen Arm über die Augen gelegt, und denkt, dass dies trotz ihrer lachend verbrachten Wochenenden und ihrer lei denschaftlichen (manchmal fieberhaften) Liebesspiele eine wirklich schreckliche Idee gewesen ist. Bei diesen Liebesspie len haben sie Dinge gemacht, die ihr noch ein halbes Jahr zuvor unvorstellbar vorgekommen wären, und Lisey weiß, dass diese Variationen wenig mit Liebe zu tun haben; sie haben mit Langeweile, mit Heimweh, Alkohol und Schwermut zu tun. Seine Trinkerei, immer stark, hat inzwischen be gonnen, sie zu erschrecken. Sie sieht den unvermeidlichen Absturz kommen, sollte er sich nicht zurücknehmen. Und die Leere ihrer Gebärmutter hat angefangen, sie zu deprimieren. Sie haben einen Deal abgeschlossen, das stimmt, aber unter dem Lecker-Baum war ihr noch nicht vollständig bewusst, dass die Jahre verstreichen würden und die Zeit Gewicht hat. Er fängt vielleicht wieder an zu schreiben, wenn sie zurück in Amerika sind, aber was wird sie tun? Er hat mich nie irre geführt, denkt sie, während sie mit einem Arm über den Augen auf dem Bremer Bett liegt, aber sie sieht einen Zeitpunkt – und zwar in nicht allzu weiter Ferne –, an dem diese Tatsache sie nicht länger zufriedenstellen wird, und die Aussicht darauf erschreckt sie. Manchmal wünschte sie, sie hätte nie mit Scott Landon
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