Love
sie diese Geste erwiderte. »Gut, dann gehe ich jetzt runter und hole das Kätzchen. Ich wette, dass Sie froh sind, wenn Sie's vom Hals haben.«
»Ja«, sagte Lisey, aber noch dringender – zumindest im Augenblick – wollte sie sich Deputy Alston vom Hals schaffen. Damit sie hinaus in die Scheune gehen und unter dem Bett nachsehen konnte. Das seit ungefähr zwanzig Jahren in einem weiß gestrichenen ehemaligen Hühnerstall stand. Das sie
(mein Gott)
in Deutschland gekauft hatten. In Deutschland
8 geht alles schief, was überhaupt schiefgehen kann.
Lisey kann sich nicht erinnern, wo sie diesen Satz gehört hat, und das spielt natürlich auch keine Rolle, aber wie die meisten Gemeinplätze enthält er ein Quäntchen unbestreit barer Wahrheit, und so gelangt sie in den neun Monaten in Bremen immer häufiger zu der Erkenntnis: Was schiefgehen kann, geht schief.
Alles, was kann, tut es auch.
Das Haus in der Bergenstraße, einer Ringstraße, ist im Herbst zugig und im Winter kalt, später undicht, als endlich ein feuchter, verkaterter Frühling kommt, der seinen Namen kaum verdient. Beide Duschen funktionieren nur auf gutes Zureden. Die Toilette im Erdgeschoss ist eine glucksende Katastrophe. Der Vermieter macht erst Versprechungen, dann lässt er sich verleugnen, wenn Scott anruft. Schließlich nimmt Scott sich für teures Geld einen deutschen Anwalt – vor allem deshalb, erklärt er Lisey, weil er es nicht erträgt, wenn der Scheißkerl von einem Vermieter damit durchkommt, wenn er Sieger bleibt. Der Scheißkerl von einem Vermieter, der Lisey manchmal wissend zublinzelt, wenn er weiß, dass Scott nicht hersieht (sie hat nie gewagt, dies Scott zu erzählen, der in Bezug auf den Scheißkerl von einem Vermieter keinerlei Humor besitzt), bleibt nicht Sieger. Um einen Prozess zu vermeiden, lässt er einige Reparaturen vornehmen: Das Dach wird dicht, und die Toilette im Erdgeschoss gewöhnt sich ihr grässliches mitternächtliches Glucksen ab. Und der Scheißkerl von einem Vermieter lässt sogar den Heizkessel erneuern. Ein blauäugi ges Wunder! Dann kreuzt er eines Nachts betrunken auf, schreit Scott in einer Mischung aus Deutsch und Englisch an und beschimpft ihn als amerikanischen kommunistischen Nichtstauger – ein Name, an den ihr Mann sich bis ans Ende seiner Tage gern erinnert. Scott, der selbst alles andere als nüchtern ist (in Deutschland wechseln Scott und Nüchtern heit kaum einmal eine Postkarte miteinander), bietet dem Scheißkerl von einem Vermieter eine Zigarette an und for dert ihn auf: Nur weiter! Weiter, mein Führer, bitte, bitte! In diesem Jahr trinkt Scott viel, Scott reißt Witze, Scott hetzt Scheißkerlen von Vermietern Anwälte auf den Hals, aber Scott schreibt nichts. Schreibt er nichts, weil er ständig be trunken ist, oder ist er ständig betrunken, weil er nichts schreibt? Lisey weiß es nicht. Wahrscheinlich trifft beides zu. Im Mai, als seine Lehrverpflichtung glücklicherweise aus läuft, kümmert sie das längst nicht mehr. Im Mai möchte sie nur woanders sein, wo die Gespräche im Supermarkt oder in den Geschäften an der Hauptstraße in ihren Ohren nicht wie die Stimmen der Tiermenschen in dem Film Die Insel des Dr. Moreau klingen. Sie weiß, dass das nicht fair ist, aber sie weiß auch, dass sie in Bremen mit keinem einzigen Menschen Freundschaft geschlossen hat, nicht mal mit den Englisch sprechenden Frauen anderer Dozenten, und dass ihr Mann zu viel an der Universität ist. Sie verbringt zu viel Zeit in dem zugigen Haus, meistens in ein Umschlagtuch gehüllt, aber trotzdem frierend, fast immer einsam und deprimiert, sieht sich Fernsehsendungen an, die sie nicht versteht, und horcht auf die schweren Baufahrzeuge, die über die Umgehungsstra ße rumpeln. Die großen Muldenkipper lassen den Fußboden erzittern. Die Tatsache, dass auch Scott sich miserabel fühlt, dass seine schlecht besuchten Vorlesungen eine Beinahe-Katastrophe sind, macht die Sache nicht besser. Wie um Him mels willen denn auch? Wer behauptet hat, geteiltes Leid wäre halbes Leid, muss ein Idiot gewesen sein. Aber w as schiefgehen kann, geht schief … dieser Kerl hatte den Durch blick gehabt.
Wenn Scott zu Hause ist, sieht sie ihn viel mehr als sonst, denn er verkriecht sich nicht in dem düsteren kleinen Raum, der zu seinem Arbeitszimmer bestimmt ist, um Geschichten zu schreiben. Anfangs versucht er, welche zu schreiben, aber im Dezember sind seine Bemühungen sporadisch geworden, und im Februar hat er sie
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