Love
leicht erhöhtem Absatz. An diese Mokassins erinnerte sie sich sehr gut. Wie bequem sie gewesen waren! Und sie war an jenem Tag ziemlich flott darin unterwegs gewesen, nicht wahr? Als es anfing, hatte sie weder den glücklichen Cop noch den benommenen jungen Mann (Tony, dessen war sie sich sicher, der berühmte Toneh-hiah-wid-drüwah-schreim ) gesehen; auch Dashmiel, Mr. Southern Fried Chickenshit, hat te sie nicht mehr wahrgenommen. Sie alle, die ganze verdammte Bande, waren ihr mit einem Schlag unwichtig geworden. Inzwischen hatte ihre Aufmerksamkeit nur noch einem gegolten, und zwar Scott. Er war bestimmt nicht weiter als drei Meter entfernt, aber sie wusste, dass die ihn umgebende Menge sie abdrängen würde, wenn sie ihn nicht sofort erreichte … und wenn sie abgedrängt wurde, konnte die Menge ihn töten. Mit ihrer gefährlichen Liebe und gierigen Besorgnis. Und hol’s der Teufel, Violet, vielleicht starb er ohnehin. Falls ja, wollte sie bei ihm sein, wenn er abtrat. Wenn er verschied, wie die Generation ihrer Eltern es ausgedrückt hätte.
»Ich war mir sicher, dass er sterben würde«, sagte Lisey zu dem stillen, von Sonnenlicht durchfluteten Raum, zu der sich windenden staubigen Gestalt der Bücherschlange.
Also war sie zu ihrem zusammengebrochenen Mann gelau fen, und der Pressefotograf – der nur gekommen war, um das obligatorische Foto von Würdenträgern der Universität und dem berühmten Schriftsteller auf Besuch zu machen, wäh rend der symbolische erste Spatenstich für die neue Biblio thek erfolgte – hatte letztlich ein weit dynamischeres Bild geschossen, nicht wahr? Eine Aufnahme für die Titelseiten, vielleicht sogar für die Ruhmeshalle der Fotografie , ein Foto von der Art, die einen mit einem Löffel Frühstücksflocken auf halbem Weg zwischen Schale und Mund verharren und Milch auf die Kleinanzeigen sabbern ließ – wie das Foto von Oswald, auf dem er sich den Bauch hält und den Mund zu einem letzten Japsen aufreißt, ein gewissermaßen eingefro renes Bild, das man nie vergisst. Nur Lisey selbst würde je erkennen, dass auch die Frau des Schriftstellers mit auf dem Foto war. Genau gesagt, ein leicht erhöhter Absatz von ihr.
Die Bildunterschrift lautete:
Captain S. Heffernan von der U-Tenn Campus Security
gratuliert Tony Eddington, der dem berühmten Gast, dem
Schriftsteller Scott Landon, nur Sekunden vor dieser
Aufnahme das Leben gerettet hat. »Er ist ein wirklicher Held«,
sagte Capt. Heffernan . »Außer ihm war niemand nahe genug,
um eingreifen zu können.« (Weitere Berichte auf S. 4 und 9)
Am linken Rand befand sich eine ziemlich lange Mitteilung in einer Handschrift, die sie nicht erkannte. Auf der rechten Sei te sah sie zwei Zeilen in Scotts ausladender Schrift, die erste Zeile etwas größer als die zweite … und bei Gott einen auf den Schuh zeigenden kleinen Pfeil! Sie wusste, was der Pfeil bedeutete; Scott hatte den Schuh erkannt. Zusammen mit der Erzählung seiner Frau – nennen wir sie »Lisey und der Ver rückte, eine spannende wahre Abenteuergeschichte« – hatte das Bild dafür gesorgt, dass er alles verstand. Und war er wütend? Nein. Weil er gewusst hatte, dass seine Frau nicht wütend sein würde. Er hatte gewusst, dass sie es komisch fin den würde, und es war komisch, sogar saukomisch, weshalb war sie also kurz davor, in Tränen auszubrechen? Niemals in ihrem Leben war sie dermaßen von ihren Emotionen über rascht, ausgetrickst und übertrumpft worden wie in diesen letzten paar Tagen.
Lisey ließ den Zeitungsausschnitt aufs Buch fallen, weil sie fürchtete, eine jähe Tränenflut könnte ihn tatsächlich auflö sen, wie Speichel einen Mundvoll Zuckerwatte auflöst. Sie schlug die Hände vors Gesicht und wartete. Als sie sicher wusste, dass die Tränen keine Überschwemmung verursachen würden, griff sie wieder nach dem Zeitungsausschnitt und las, was Scott an den Rand geschrieben hatte:
Muss ich Lisey zeigen! Wie sie LACHEN wird Aber wird sie’s verstehen? (Unsere Umfrage sagt JA)
Wie um ihr einen schönen Tag zu wünschen, hatte er in de n Punkt des großen Ausrufezeichens ein sonniges Smiley i m
Stil der Siebzigerjahre gezeichnet. Und Lisey verstand. Acht zehn Jahre zu spät, aber was machte das schon? Erinnerun gen waren relativ.
Sehr Zen, Grashüpfah, hätte Scott vielleicht gesagt.
»Zen, Schmen. Ich frage mich, was Tony inzwischen so treibt, das frage ich mich wirklich. Retter des berühmten Autors Scott Landon.« Sie lachte, und die
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