Love
wirken, als sie sind, weil sie so viele Haare verloren und so viel Bauch angesetzt haben, sondern weil sie darauf bestehen, sich mit einer fast erstickenden Gra vität zu umgeben. Selbst seine Witzeleien klingen in Liseys Ohren wie der mündliche Vortrag von Versicherungsklauseln. Erschwerend kommt hinzu, dass Dashmiel ihren Mann nicht leiden kann. Das hat Lisey sofort gespürt (keine große Kunst, denn die meisten Männer mögen ihn), und damit hat sie nun etwas, worauf sie ihr Unbehagen konzentrieren kann. Denn sie fühlt sich unbehaglich, sehr sogar. Sie hat sich einzureden versucht, das läge nur an der hohen Luftfeuchtigkeit und den sich im Westen zusammenballenden Wolken, die für diesen Nachmittag starke Gewitter oder sogar Tornados anzukündi gen scheinen: bloß so eine Tiefdrucksache. In Maine hatte das Barometer jedoch nicht tief gestanden, als sie an diesem Morgen um Viertel vor sieben aufgestanden war; hier hatte bereits ein schöner Sommermorgen geherrscht, an dem die gerade aufgegangene Sonne eine Trillion Tautropfen zwischen dem Haus und Scotts Schreibwerkstatt glitzern ließ. Kein Wölkchen am Himmel, »ein echter Rührei-mit-Schin ken-Tag«, wie der alte Dandy Dave Debusher gesagt hätte. Aber sobald ihre Füße die Eichendielen des Schlafzimmerbodens berührten, war sie in Gedanken bei dem Trip nach Nashville gewesen – um acht Uhr Abfahrt zum Portland Jetport, um neun Uhr vierzig Abflug mit Delta –, ihr Herz war von düsteren Vorahnungen erfüllt gewesen, und ihr noch nüchterner Magen, der sonst nie aufbegehrte, hatte sich von unmotivierten Ängsten fast umgedreht. Sie hatte diese Empfindungen mit überraschter Bestürzung registriert, denn nor malerweise reiste sie gern , vor allem mit Scott: Dann saßen sie gesellig nebeneinander, er mit seinem aufgeschlagenen Buch in der Hand, sie mit ihrem. Manchmal las er ihr ein paar Sät ze aus seinem Buch vor, und manchmal revanchierte sie sich mit ein paar aus ihrem. Manchmal fühlte sie sich beobachtet, sah auf und begegnete seinen Augen. Seinem ernsten Blick. Als ob sie ihm noch immer ein Rätsel wäre. Ja, und manchmal gab es Turbulenzen, und auch die gefielen ihr. Sie erinnerten Lisey an die Fahrgeschäfte auf dem Jahrmarkt in Topsham, als ihre Schwestern und sie noch jung gewesen waren: an die Wirbelnden Kaffeetassen und die Wilde Maus. Auch Scott machten zwischenzeitliche Turbulenzen nie etwas aus. Sie erinnerte sich an einen besonders verrückten Landeanflug in Denver – Sturmwinde und Gewitterwolken schleuderten die kleine Kurzstrecken-Propellermaschine von Death’s Head Airlines kreuz und quer über den ganzen verdammten Himmel –, bei dem sie beobachtet hatte, wie er mit seinem verrückten Lächeln auf dem Gesicht in seinem Sessel auf und ab gehüpft war wie ein kleiner Junge, der dringend mal musste. Nein, die Ausflüge, die Scott ängstigten, die nächtlichen, waren diejenigen, die steil nach unten führten. Gelegentlich sprach er – vernünftig, sogar lächelnd – über die Dinge, die man auf dem Bildschirm eines ausgeschalteten Fernsehers sehen konnte. Oder in einem Schnapsglas, wenn man es im genau richtigen Winkel neigte. Es erschreckte sie sehr, ihn so reden zu hören. Weil es verrückt war – und weil sie gewissermaßen wusste, was er meinte, auch wenn sie das nicht wollte.
Folglich ist es kein niedriger Barometerstand, der ihr zu setzt, und bestimmt nicht die Aussicht, ein weiteres Flugzeug besteigen zu müssen. Aber als sie im Bad nach der Spiegel-leuchte griff, was sie in den insgesamt acht Jahren, die sie nun schon auf dem Sugar Top Hill lebten – also ungefähr drei tausend Tage, von denen man die Reisetage abziehen muss te –, tagtäglich ohne Zwischen- oder Unfälle getan hatte, schlug ihr Handrücken gegen das Glas mit ihren Zahnbürsten und ließ es so gegen die Kacheln knallen, dass es in ungefähr dreitausend dämliche Stücke zersplitterte.
»Scheißt Feuer, spart die verdammten Zündhölzer!«, rief sie erschrocken und irritiert über ihre Ängstlichkeit aus … denn sie glaubte nicht an Omen, nicht Lisa Landon, die Frau des Schriftstellers, aber auch nicht die kleine Lisey Debusher aus der Sabbatus Road in Lisbon Falls. Omen waren etwas für die Iren in Shantytown.
Scott, der eben mit zwei Tassen Kaffee und einem Teller Buttertoast ins Schlafzimmer zurückgekommen war, blieb ruckartig stehen. »Was hast du kaputtgemacht, Babylove?«
»Nichts, was aus ’nem Hundearsch gefallen ist«, sagte Lisey wütend –
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