Love
schwimmen, aber der Pool ist nicht ungefährlich. Er ist größer, als er aussieht, er ist tiefer, als irgendein Mensch weiß, und er verändert sein Aus sehen – vor allem nach Einbruch der Dunkelheit.«
Auch dazu sagt sie nichts. Sein Arm umschlingt ihren Na cken. Wenig später stiehlt seine Hand sich in ihren geöffneten Parka, um eine Brust zu umfassen. Nicht aus Lust, das weiß sie ziemlich sicher, sondern auf der Suche nach Trost.
»Also gut«, sagt er. »Märchenstunde. Mach die Augen zu, kleine Lisey.«
Sie schließt die Augen. Einige Sekunden lang ist unter dem Lecker-Baum alles dunkel und still, aber sie hat keine Angst; sie hat seinen Geruch und das Gefühl seines Körpers neben sich; dazu kommt seine Hand, die jetzt sanft auf ihrem Schlüsselbein ruht. Mit dieser Hand könnte er sie leicht er würgen, aber sie weiß auch ohne seine versichernden Worte, dass er ihr niemals wehtun würde, zumindest nicht körper lich. Er wird sie verletzen, ja, aber vor allem mit seinem Mund. Mit seinem Lästerrand .
»Also gut«, wiederholt der Mann, den sie in weniger als einem Monat heiraten wird. »Diese Erzählung könnte vier Kapitel haben. Kapitel eins heißt Scooter auf dem Tisch.
Es war einmal ein Junge, ein magerer, kleiner, ängstlicher Junge, der Scott hieß, aber wenn sein Daddy bösmüllig war und alles Schneiden nicht genügte, um ihn davon zu befreien, nannte sein Daddy ihn Scooter. Und eines Tages – eines schlimmen, verrückten Tages – stand der kleine Junge an einem hohen Ort, blickte auf eine Fläche aus gebohnertem Holz hinunter, die sich tief unter ihm erstreckte, und beob achtete, wie das Blut seines Bruders
8 langsam den Spalt zwischen zwei Dielen entlangläuft.
Spring, befiehlt sein Vater ihm. Übrigens nicht zum ersten Mal. Spring, du kleiner Bastard, du erbärmlicher kleiner Ho senscheißer, spring endlich!
Daddy, ich hab Angst! Es ist zu hoch!
Das ist es nicht, und mir ist es scheißegal, ob du Schiss hast oder nicht, du springst gefälligst, sonst sorg ich dafür, dass es dir leidtut und deinem Kumpel noch mehr, los jetzt, Fall schirmjäger von Bord!
Daddy macht eine kurze Pause und sieht sich um, wobei seine Augäpfel sich wie immer bewegen, wenn er bösmüllig ist – fast ticken sie hin und her –, dann sieht er wieder den Dreijährigen an, der zitternd auf dem Tisch in der Diele des großen, alten, ziemlich heruntergekommenen Farmhauses steht, in dem es an einer Million Stellen zieht. Mit dem Rücken an die mit schablonierten Blättern verzierte rosa Wand gepresst, weit draußen auf dem Lande, wo die Leute sich um ihren eige nen Kram kümmern.
Wenn du willst, kannst du dabei ›Geronimo!‹ rufen, Scoot. Das hilft angeblich. Wenn du's richtig laut schreist, während du aus der Maschine springst.
Also tut Scott es, klammert sich an alles, was irgendwie helfen könnte, er kreischt GEROMINO! – was nicht ganz rich tig ist und ohnehin nichts hilft, denn er kann noch immer nicht vom Tisch auf die gebohnerte hölzerne Fußbodenebene so tief unter ihm springen.
Ahhh, barmherziger Hosenscheißer!
Daddy reißt Paul nach vorn. Paul ist jetzt sechs, fast sieben, er ist groß und dunkelblond, seine Haare sind vorn und an den Seiten ziemlich lang, er braucht einen Haarschnitt, müss te zu Mr. Baumer, dem Friseur in Martensburg, zu Mr. Baumer mit dem Elchkopf an der Wand und dem verblassten Aufkle ber am Fenster, auf dem unter der ’merikanischen Flagge ICH HABE GEDIENT steht, aber es wird noch eine Weile dauern, bis sie wieder nach Martensburg kommen, das weiß Scott genau. Sie fahren nicht in die Stadt, wenn Daddy bösmüllig ist, und Daddy fährt jetzt nicht mal zur U. S. Gyppum in die Arbeit, weil er Urlaub hat.
Paul hat blaue Augen, und Scott liebt ihn mehr als jeden anderen, sogar mehr als sich selbst. An diesem Morgen sind Pauls Arme mit Blut bedeckt, überzogen mit kreuz und quer verlaufenden Schnitten, und jetzt greift Daddy wieder nach seinem Taschenmesser, der verhassten Klinge, die schon so viel von ihrem Blut getrunken hat, und lässt es in der Mor gensonne funkeln. Daddy ist die Treppe runtergekommen und hat sie gerufen, er hat Bool! Bool! Kommt her, ihr beiden! gerufen. Wenn das Bool Paul gilt, schneidet er Scott, gilt er Scott, schneidet er Paul. Selbst wenn er bösmüllig ist, versteht Daddy sich noch auf Liebe.
Springst du jetzt du Feigling oder muss ich ihn noch mal schneiden?
Nicht, Daddy!, kreischt Scott. Bitte nicht mehr schneiden, ich spring ja schon!
Dann
Weitere Kostenlose Bücher