Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
ich nur wenig. Ich bin drei Generationen weit zurückgegangen, habe es wegen des vielen Bluts an den Wänden mit der Angst zu tun gekriegt und aufgegeben. Blut – oft auch mein eigenes – habe ich in meiner Kindheit genug zu sehen bekommen. Was den Rest betrifft, habe ich mich auf das Wort meines Daddys verlassen. Als ich klein war, hat Daddy gesagt, die Landons – und vor ihnen die Landreaus – zerfielen in zwei Typen: Gomer und Bösmüllige. Bösmüllig war besser, weil man es durch Schnei den rauslassen konnte. Schneiden musste man, wenn man sein Leben nicht im Irrenhaus oder Gefängnis verbringen woll te. Er hat gesagt, das wäre die einzige Möglichkeit.«
    »Redest du von Selbstverstümmelung, Scott?«
    Er zuckt mit den Schultern, als wäre er sich seiner Sache nicht ganz sicher. Auch sie ist unsicher. Schließlich kennt sie ihn nackt. Er hat ein paar Narben, aber eigentlich nur wenige.
    »Blut-Bools?«, fragt sie.
    Diesmal reagiert er bestimmter. »Blut-Bools, genau.«
    »In der Nacht, in der du deine Hand durchs Treibhausglas gerammt hast, hast du die Bösmülligkeit rausgelassen?«
    »Vermutlich. Klar. In gewisser Weise.« Er drückt seine Zigarette im Gras aus. Damit lässt er sich viel Zeit und sieht sie dabei nicht an. »Die Sache ist ein bisschen kompliziert. Du musst bedenken, wie schrecklich ich mich an diesem Abend gefühlt habe. Da war alles Mögliche zusammenge kommen …«
    »Ich hätte dich niemals …«
    »Nein«, sagt er, »lass mich ausreden. Dies alles kann ich nur ein Mal sagen.«
    Sie verstummt.
    »Ich war betrunken, ich habe mich scheußlich gefühlt, ich hatte es – es – lange nicht mehr rausgelassen. Das war nicht mehr nötig gewesen. Vor allem deinetwegen, Lisey.«
    Lisey hat eine Schwester, die mit Anfang zwanzig beängs tigende Anfälle von Selbstverstümmelung erlitten hat. Gott sei Dank hat Amanda das inzwischen hinter sich, aber die Narben – hauptsächlich auf der Innenseite von Armen und Oberschenkeln – trägt sie noch immer. »Scott, wenn du dich geschnitten hast, müsstest du doch Narben …«
    Er spricht weiter, als hätte er sie nicht gehört. »Ich will ver dammt sein, wenn er im letzten Frühjahr, als ich dachte, er wäre längst verstummt, nicht wieder angefangen hat, mit mir zu reden. ›Es liegt dir im Blut, Scott‹, hab ich ihn sagen gehört. ›Es liegt dir im Blut wie ein dringendes Verlangen. Hab ich recht?‹«
    »Wer, Scott? Wer hat angefangen, mit dir zu reden?« Sie weiß, dass es Paul oder sein Vater sein muss, wahrscheinlich nicht Paul.
    »Daddy. Er sagt: ›Scooter, wenn du rechtschaffen sein willst, musst du den Bösmüll rauslassen. Fang gleich damit an, warte nicht so verflixt lange.‹ Also hab ich es getan. Klein … klein …« Er macht kleine Schneidebewegungen – an der Wan ge, am Oberarm –, um zu illustrieren, was er meint. »Und an dem Abend, an dem du wütend warst …« Er zuckt mit den Schultern. »Da hab ich den Rest rausgelassen. Aus und vorbei. Schluss damit! Danach war mir wohler. Für uns beide woh ler. Hör zu, ich würde mich eher ausbluten lassen wie ein Schwein am Haken, als dir wehzutun. Bevor ich dir jemals wehtäte.« Er verzieht das Gesicht zu einer verächtlichen Gri masse, die sie noch nie bei ihm gesehen hat. »Ich kann dir ver sichern, dass ich nie wie er gewesen bin. Wie mein Daddy.« Und dann fast fauchend: »Der beschissene Mister Sparky.«
    Sie sagt nichts. Das wagt sie nicht. Sie weiß ohnehin nicht, ob sie ein Wort herausbrächte. Erstmals seit Monaten fragt sie sich wieder, wie er seine Hand so schwer verletzen und kaum Narben davontragen kann. Eigentlich ist das unmöglich. Sie denkt: Seine Hand war nicht nur zerschnitten; sie war ver stümmelt.
    Scott hat sich inzwischen mit Händen, die nur ganz leicht zittern, eine weitere Herbert Tareyton angezündet. »Ich will dir eine Geschichte erzählen«, sagt er. »Nur eine einzige Ge schichte, die stellvertretend für alle Geschichten aus der Kindheit eines bestimmten Mannes stehen soll. Weil Geschichten das sind, worauf ich mich am besten verstehe.« Er betrachtet den aufsteigenden Zigarettenrauch. »Ich fische sie mit dem Netz aus dem Pool. Von dem Pool habe ich dir erzählt, stimmt's?«
    »Ja, Scott. Zu dem wir alle hinabgehen, um zu trinken.«
    »Genau. Und um unsere Netze auszuwerfen. Die wirklich mutigen Fischerinnen und Fischer – die Austens, die Dosto jewskis, die Faulkners – fahren manchmal sogar mit Booten zu den Stellen hinaus, wo die Großen

Weitere Kostenlose Bücher