Love
oder den schrecklichen Tisch auch nur eines Blickes zu würdigen (nun, vielleicht eines flüchtigen Blicks). Auf der Veranda steht eine große Couch mit klumpiger Polsterung, die eigenartige Ge rüche absondert, wenn man darauf sitzt. Sie riecht nach frit tierten Fürzen, hat Paul eines Tages gesagt, und darüber musste Scott so lachen, dass er sich nass gemacht hat. (Wäre Daddy daheim gewesen, hätte ihn die nasse Hose in GROSSE SCHWIERIGKEITEN gebracht, aber Daddy war in der Arbeit.) Scott geht jetzt zu dieser Couch, auf der Clyde auf dem Rü cken liegend mit den Garnspulen gespielt hat, die Paul und Scott über ihm baumeln ließen, wobei er mit den Vorderpfoten nach ihnen angelte, sodass eine Riesenkatze an der Wand Schattenboxen zu üben schien. Jetzt sinkt Scott auf die Knie und hebt ein Polster nach dem anderen hoch, bis er den dritten Papierstreifen, die dritte Bool-Station, gefunden hat, und diese schickt ihn zum …
Es spielt keine Rolle, wohin sie ihn schickt. Wichtig ist nur dieser lange, aufregende Tag. Hier sind zwei Jungen, die den Vormittag damit verbringen, durch ein heruntergekommenes, teils fast baufälliges Farmhaus weit draußen auf dem Lande zu streifen, während die Sonne am Himmel langsam zu einem Mittag ohne Schatten und Tiefe aufsteigt. Dies ist eine einfache Geschichte von Geschrei und Lachen und Vorgartenstaub und Socken, die allmählich tiefer rutschen, bis sie sich um schmutzige Knöchel zusammenrollen; dies ist eine Geschichte von Jungen, die zu beschäftigt sind, um zum Pinkeln reinzugehen, sodass sie stattdessen die wilden Rosen an der Südseite des Hauses wässern. Sie handelt von einem kleinen Jungen, der den Windeln noch nicht allzu lange entwachsen ist und jetzt Papierstreifen einsammelt: am Fuß der Leiter, die zum Heuboden über der Scheune hinaufführt, unter den Stufen zur vorderen Veranda, hinter der rostigen Maytag-Wasch maschine auf dem Hof hinter dem Haus und unter einem Stein am Rand des alten, schon lange trockenen Brunnens. ( Fall nicht rein, du kleiner Scheißer!, sagt die unheimliche Daddystimme, die jetzt aus dem hohen Unkraut am Rand des in diesem Jahr brachliegenden Bohnenfelds kommt.) Und zu letzt erhält Scott folgenden Hinweis:
15 ICH BIN UNTER ALLEN DEINEN TREUMEN
Unter allen meinen Träumen, denkt er. Unter meinen Träu men … wo ist das?
Brauchst du Hilfe, kleiner Scheißer?, fragt die unheimliche Stimme. Ich hab allmählich Hunger aufs Mittagessen.
Den hat Scott auch. Inzwischen ist es Nachmittag, er ist schon seit Stunden unterwegs, trotzdem bittet er um eine wei tere Minute. Die unheimliche Daddystimme billigt ihm drei ßig Sekunden zu.
Scott überlegt angestrengt. Unter allen meinen Träumen … unter allen meinen …
Er hat zum Glück keine Ahnung von Dingen, die mit dem Unbewussten oder dem Es zusammenhängen, aber er hat schon angefangen, in Metaphern zu denken, und die Ant wort kommt ihm als göttliche, glückliche Eingebung. Er rennt die Treppe hinauf, so schnell seine kleinen Beine ihn tragen wollen, wobei ihm die Haare aus der gebräunten, schmutzigen Stirn fliegen. In dem Zimmer, das er sich mit Paul teilt, läuft er zu seinem Bett, sieht unter dem Kopfkissen nach und findet dort tatsächlich seine Flasche RC -Cola – eine große! – und den letzten Papierstreifen. Die Nachricht lautet immer gleich:
16 BOOL! DAS ENDE !
Er hebt die Flasche, wie er viel später einen silbernen Spaten hochrecken wird (und fühlt sich dabei wie ein Held), dann dreht er sich um. Paul kommt hereingeschlendert, hält eben falls eine Flasche RC in der Hand und hat den Flaschenöffner aus der Küchenschublade mitgebracht.
Nicht schlecht, Scott-O. Du hast ziemlich lang gebraucht, aber du bist hingekommen.
Paul öffnet erst seine, dann Scotts Flasche. Sie stoßen mit den langhalsigen Flaschen an. Paul sagt, dass das »ein Duo trinken« heißt und man sich dabei etwas wünschen darf.
Was wünschst du dir, Scott? Ich wünsche mir, dass das Buchmobil in diesem Sommer wiederkommt. Was wünschst du dir, Paul?
Sein Bruder sieht ihn ruhig an. In wenigen Minuten wird er nach unten gehen und ihnen Sandwichs mit Erdnuss butter und Gelee machen, wobei er die Trittleiter von der hinteren Veranda holt, auf der ihr verhängnisvoll lauter Ka ter früher gespielt und geschlafen hat, um ein neues Glas Shedd's vom obersten Fach in der Speisekammer zu holen. Und er sagt
11 Doch hier verstummt Scott. Er betrachtet die Weinfla sche, aber der Wein ist ausgetrunken. Lisey und er
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