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Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Dort hatte Scott seinen Bru der begraben, den er so verzweifelt zu retten versucht hatte. Und jenseits dieser etwas vertieften Stelle sah sie etwas, was sie mit riesigen leeren Augenhöhlen aus dem hohen Gras an starrte.
    Im ersten Moment glaubte sie, es wäre Dooley oder seine Leiche, die irgendwie wiederbelebt zurückgekehrt war, um ihr aufzulauern, doch dann erinnerte sie sich, wie er die nutzlose, glaslose Nachtsichtbrille abgerissen und weggeworfen hatte, nachdem er Amanda mit einem Fausthieb zur Seite geworfen hatte. Und da lag sie jetzt neben dem Grab des guten Bruders.
    Wieder eine Bool-Jagd, dachte sie, als sie darauf zuging. Vom Weg zum Baum, vom Baum zum Grab; vom Grab zur Nachtsichtbrille. Wohin als Nächstes? Wohin jetzt, Babylove?
    Die nächste Station bildete das Grabkreuz, dessen Querbrett so verdreht war, dass es aussah wie Uhrzeiger, die auf fünf nach sieben standen. Das senkrechte Brett war eine Handbreit tief von Dooleys Blut verfärbt, das jetzt zu demsel ben Kastanienbraun angetrocknet war wie das Blut auf dem Teppichboden in Scotts Büro. Auf dem Querbrett konnte sie noch den Namen PAUL entziffern, und als sie es (wirklich ehrfürchtig) aus dem Gras hob, sah sie noch etwas anderes: ein Stück gelbes Häkelgarn, das mehrfach ums senkrechte Brett des Grabkreuzes geschlungen und dann fest verknotet worden war. Mit genau demselben Knoten, daran zweifelte Lisey nicht im Geringsten, mit dem Chuckie D.s Glocke an dem Baum im Wald befestigt gewesen war. Dieses gelbe Garn – das Good Ma einst in großen Mengen mit ihrer Häkelnadel verarbeitet hatte, während sie auf der Farm in Lisbon Falls vor dem Fernseher gesessen hatte – war dicht oberhalb der Stelle, wo das Holz von dunkler Erde verfärbt war, um das Brett gewickelt. Und als Lisey es betrachtete, erinnerte sie sich, etwas Gelbes aufblitzen gesehen zu haben, kurz bevor Dooley sich das Holz aus dem Arm gerissen und fortgeschleudert hatte.
    Das ist der African, den wir bei dem großen Felsen über dem Pool zurückgelassen haben. Er ist später, irgendwann später, noch mal hergekommen, hat ihn geholt und hierher gebracht. Hat den Anfang aufgetrennt, den Faden an das Grab-kreuz gebunden und für mich ausgelegt. Und ist davon ausge gangen, dass ich an seinem Ende fündig werde.
    Mit schwer und langsam schlagendem Herzen ließ Lisey das Grabkreuz fallen, folgte dem gelben Faden, der sie weg vom Weg am Rand des Märchenwaldes entlangführte, und ließ ihn durch ihre Hände gleiten, während das hohe Gras an ihren Waden raschelte, die Grashüpfer zu ihren unberechenbaren Sprüngen ansetzten und die Lupinen ihren süßen Duft verströmten. Irgendwo zirpte eine Zikade ihr heißes Sommer lied, und in den Bäumen krächzte eine Krähe – war das eine Krähe? Sie klang wie eine, wie eine ganz gewöhnliche Krähe – einen heiseren Gruß, aber weder nah noch fern waren Autos oder Flugzeuge oder Menschenstimmen zu hören. Sie ging durchs Gras und folgte dem Faden der aufgetrennten Häkel decke, in die ihr schlafloser, verängstigter, dahinschwindender Mann sich vor zehn Jahren in so vielen kalten Nächten gehüllt hatte. Vor ihr stand ein einzelner Sweetheart-Baum, ein Stück von seinen Artgenossen entfernt, breitete die Zweige aus und warf einen einladenden Schatten. Unter dem Baum sah sie einen geräumigen Papierkorb aus Metall und einen viel größeren gelben Fleck. Die Farbe war jetzt weniger leuchtend, die Wolle verfilzt und formlos, sodass es aussah, als läge dort eine im Regen zurückgelassene große gelbe Perücke oder vielleicht der Kadaver eines großen gelben Katers, aber Lisey wusste gleich, was dort lag, und ihr Herz begann zu rasen. In Gedanken konnte sie hören, wie The Swinging Johnsons »Too Late to Turn Back Now« spielten, und fühlte Scotts Hand, als er sie auf die Tanzfläche führte. Sie folgte dem aufgetrennten gelben Faden bis unter den Sweetheart-Baum und kniete neben dem kleinen Überrest des Hochzeitsgeschenks ihrer Mutter für ihre jüngste Tochter und den Mann ihrer jüngsten Tochter nieder. Sie hob es auf – es und was immer es enthalten mochte –, und drückte es an ihr Gesicht. Es roch feucht und moderig, ein altes Ding, ein vergessenes Ding, ein Ding, das jetzt mehr nach Beerdigungen als nach Hochzeiten roch. Aber das war in Ordnung. So sollte es sein. Sie roch all die Jahre, die es hier draußen gelegen hatte: an Pauls Grabkreuz gebunden und auf sie wartend, wie eine Art Anker.
    11 Etwas später, als ihre Tränen

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