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Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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versiegt waren, legte sie das Päckchen (denn bestimmt handelte es sich um eines) langsam auf seinen alten Platz zurück, betrachtete es und berührte die Stelle, wo der gelbe Faden von dem zusammen geschrumpften Leib des Afghans ausging. Sie staunte dar über, dass der Faden bei Dooleys Sturz aufs Grabkreuz nicht gerissen war, und auch nicht, als er sich das Kreuz aus dem Arm gerissen und von sich geschleudert hatte. Natürlich hatte es geholfen, dass Scott den Faden ganz unten verknotet hatte, trotzdem war seine Haltbarkeit erstaunlich, vor allem wenn man bedachte, wie lange das verdammte Ding bei Wind und Wetter hier draußen gelegen hatte. Ein blauäugiges Wun der, wie man so schön sagte.
    Manchmal fanden Hunde nach Hause; manchmal hielten alte Wollfäden und führten einen zu der Trophäe am Ende der Bool-Jagd. Sie machte sich daran, die ausgebleichten, verfilz ten Überreste des Afghans auseinanderzuschlagen, als ihr Blick in den Papierkorb fiel. Was sie darin sah, ließ sie wehmütig auflachen. Er war fast bis zum Rand mit leeren Schnapsfla schen gefüllt. Ein paar sahen verhältnismäßig neu aus, und sie wusste mit Sicherheit, dass die oberste Flasche neu war, denn vor zehn Jahren hatte noch kein Mensch etwas von Mike's Hard Lemonade geahnt. Aber die meisten Flaschen waren alt. Im Jahr 1996 war Scott also hierhergekommen, um zu trinken, aber selbst im Vollrausch hatte er noch zu viel Respekt vor Boo'ya-Mond gehabt, um die leeren Flaschen einfach in die Gegend zu werfen. Und würde sie weitere De pots dieser Art finden, wenn sie sich die Mühe machte, da nach Ausschau zu halten? Vielleicht. Wahrscheinlich. Aber dies hier war das einzige von Belang, denn sie ging davon aus, dass er hierhergekommen war, um sein Lebenswerk ab zuschließen.
    Sie glaubte, inzwischen alle Antworten zu kennen, nur die großen nicht, deretwegen sie eigentlich hergekommen war – wie sie mit dem Long Boy leben sollte, wie sie es vermeiden sollte, gegen ihren Willen hierherzugeraten, wo er lebte, vor allem wenn er an sie dachte. Vielleicht hatte Scott ihr ein paar Antworten hinterlassen. Selbst wenn nicht, irgendetwas hatte er ihr hinterlassen … und im Schatten unter diesem Baum war es sehr angenehm.
    Lisey griff nochmals nach dem African und tastete ihn ab, wie sie als Kind ihre Weihnachtsgeschenke abgetastet hatte. Er enthielt etwas Kastenförmiges, was sich aber nicht im Ge ringsten wie Good Mas Zedernholzschatulle anfühlte; es war weicher, fast matschig, als hätte es im Lauf der Jahre Feuch tigkeit aufgesogen, obwohl es in eine Decke gewickelt unter einem Baum gelegen hatte … und sie fragte sich erstmals, von wie vielen Jahren hier die Rede sein mochte. Die Hard-Lemo nade-Flasche ließ auf nicht allzu viele schließen. Und wie sich das Ding anfühlte, war es …
    »Eine Manuskriptschachtel«, murmelte sie. »Eine seiner har ten Pappschachteln für Manuskripte.« Ja. Lisey war sich ihrer Sache sicher. Nur dass die zwei Jahre unter diesem Baum … oder drei … oder vier … daraus eine weiche Pappschachtel ge macht hatten.
    Sie wickelte die Schachtel aus dem Afghan. Zwei Runden reichten; mehr war von der Häkeldecke nicht übrig. Und zum Vorschein kam tatsächlich eine Manuskriptschachtel, deren helles Grau durch die eingesickerte Feuchtigkeit zu Schiefer grau geworden war. An den Vorderseiten seiner Schachteln hatte Scott immer einen Aufkleber angebracht und darauf den Titel vermerkt. Dieser Aufkleber hatte sich seitlich und am unteren Rand gelöst und zusammengerollt. Sie drückte ihn mit zwei Fingern glatt und las ein einzelnes Wort in Scotts kräftiger schwarzer Druckschrift: LISEY. Sie öffnete die Schachtel, die aus einem Notizbuch herausgerissene linierte Blätter enthielt. Insgesamt ungefähr dreißig, alle mit einem seiner schwarzen Filzstifte und in eiliger enger Handschrift beschrieben. Sie war nicht überrascht, als sie sah, dass Scott in der Gegenwartsform geschrieben hatte, dass er manchmal in eine fast kindliche Ausdrucksweise verfallen war und dass die Geschichte mittendrin zu beginnen schien. Letzteres stimmte nur, überlegte sie sich, wenn man nicht wusste, wie die beiden Brüder ihren verrückten Vater überlebt hatten, was einem von ihnen zugestoßen war und wie der andere ihn nicht hatte retten können. Die Geschichte schien nur mittendrin anzufangen, wenn man nichts von Gomern und Blut-Bools und dem Bösmülligen wusste. Sie begann nur mittendrin, wenn man nicht wusste, dass
    12 Im Februar fängt er an,

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