Love
hat nach dir gefragt, und sie wollte Tee. Ich habe ihr wel chen gemacht, und sie hat ihn getrunken. Das war gut, oder?«
»Ja«, sagte Lisey. »Darl, weißt du, was diesen Anfall ausge löst hat?«
»Oh, natürlich! Vermutlich redet die ganze Stadt darüber, aber ich hab's erst erfahren, als Mrs. Jones es mir am Telefon erzählt hat.«
»Was?« Aber Lisey hatte einen Verdacht. Und ob sie den hatte!
»Charlie Corriveau ist wieder da«, berichtete Darla. Sie senk te die Stimme: »Der gute alte Shootin' Beans. Jedermanns liebster Banker. Er hat ein Mädchen mitgebracht. Eine kleine französische Postkartenschönheit aus dem St. John Valley.« Sie sprach den Namen wie in Maine üblich aus, sodass er ver schwommen-lyrisch klang, fast wie Senjun .
Lisey betrachtete den silbernen Spaten, während sie auf die andere Hälfte der Hiobsbotschaft wartete. Dass es eine gab, bezweifelte sie nicht.
»Sie sind verheiratet, Lisey«, sagte Darla. Durchs Telefon kamen dumpf gurgelnde Laute, die Lisey zunächst für erstick tes Schluchzen hielt. Im nächsten Augenblick erkannte sie, dass ihre Schwester zu lachen versuchte, ohne dass Amanda, die weiß Gott wo im Haus war, sie hörte.
»Ich komme, so schnell ich kann«, sagte sie. »Und, Darl?«
Keine Antwort, nur wieder diese erstickten Gurgellaute – whig, whig, whig, so klangen sie an diesem Ende der Leitung.
»Wenn sie dich lachen hört, bist du vermutlich die Nächste, auf die sie mit dem Messer losgeht.«
Darauf verstummte das unterdrückte Lachen. Lisey hörte, wie Darla geräuschvoll durchatmete, um sich wieder zu fan gen. »Ihr Seelendoktor ist nicht mehr da, weißt du«, sagte Darla schließlich. »Diese Whitlow? Die mit den Holzperlen ketten? Sie ist nach Alaska gegangen, glaub ich.«
Lisey meinte, dass es Montana gewesen war, aber das spiel te keine Rolle. »Okay, wir müssen abwarten, wie schlimm es mit ihr steht. Es gibt eine Klinik, die Scott sich mal angesehen hat: Greenlawn, oben in den Twin Cities …«
»O Lisey!« Good Mas Stimme, genau ihr Ton.
»Lisey was?«, fragte sie scharf. »Lisey was? Willst du bei ihr einziehen und sie daran hindern, sich Charlie Corriveaus Initialen in die Titten zu schneiden, wenn sie wieder mal durchdreht? Oder hast du vielleicht Canty für diesen Job ausgeguckt?«
»Lisey, ich wollte nicht …«
»Oder vielleicht kann Billy sein Studium an der Tufts ab brechen und sich um sie kümmern. Was macht ein Student mehr oder weniger auf der Decan's List schon für einen Un terschied?«
»Lisey …«
»Also, was schlägst du vor?« Sie hörte die Überheblichkeit in ihrer Stimme und hasste sich dafür. Auch das gehörte zu den Dingen, die Geld nach zehn oder zwanzig Jahren bewirk te: Man bildete sich ein, das Recht zu haben, sich aus jeder kritischen Situation mit Brachialgewalt zu befreien. Sie erin nerte sich, dass Scott einmal gesagt hatte, niemand sollte ein Haus mit mehr als zwei Toiletten haben dürfen, weil das nur Größenwahn erzeuge. Sie sah wieder zu dem Spaten hinüber. Er glänzte. Beruhigte sie. Du hast ihn gerettet, sagte er. Aber nur mit Glück, sagte er. Stimmte das? Sie wusste es nicht mehr. Gehörte auch das zu den Dingen, die sie absichtlich vergessen hatte? Auch daran konnte sie sich nicht erinnern. Lächerlich! Welch bittere Ironie des Schicksals.
»Lisey, tut mir leid … Ich bin nur …«
»Ich weiß.« In Wahrheit wusste sie, dass sie müde und durcheinander war und sich wegen ihres Ausbruchs schäm te. »Uns fällt schon irgendwas ein. Ich komme gleich rüber, okay?«
»Ja.« Erleichterung in Darlas Stimme. »Okay.«
»Dieser Franzose«, sagte Lisey. »Was für ein Scheißkerl. Die sen stinkenden Müll werden wir auch noch los.«
»Komm bitte so schnell wie möglich.«
»Mach ich. Bye.«
Lisey legte auf. Sie ging zur Nordostecke des Raums und ergriff den Stiel des silbernen Spatens. Es kam ihr vor, als täte sie das zum ersten Mal, und war es nicht auch so? Als Scott ihn ihr in die Hand gedrückt hatte, hatte sie sich nur für das silbern glänzende Blatt mit den eingravierten Worten in teressiert, und als sie das verflixte Ding dann geschwungen hatte, hatten ihre Hände sich von selbst bewegt … zumindest war es ihr so vorgekommen. Sie vermutete, dass irgendein primitiver, fürs Überleben zuständiger Teil ihres Gehirns es übernommen hatte, für den Rest von ihr, für die durch und durch moderne Lisey zu handeln.
Sie ließ eine Hand über das lackierte Holz gleiten, genoss die Glätte unter
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