Loved by an Angel
ankam.
Vielleicht schaffte sie es endlich, den Liebestraum zu spielen. Wenn um sie herum alles so still war, könnte sie vielleicht alles herauslassen und es ausnahmsweise bis zum Schluss des Liebeslieds schaffen. Sie hatte jeden Tag für das Festival geübt, es aber nie bis zum Ende des Stücks ausgehalten. Irgendwann holten sie immer die Erinnerungen ein, eine ganze Flutwelle stieg dann in ihr auf und spülte alle Musik davon.
Vielleicht könnte sie sich an diesem Tag auf die Noten konzentrieren.
Ivy holte sich eine Cola aus der Küche und lief nach oben, um zu duschen. Mitten während des Duschens fiel ihr ein, dass sie die Hintertür besser hätte abschließen sollen.
Sei nicht albern, ermahnte sie sich. Auf den Berg kam nie irgendjemand. Sie wollte diese Tage der Ruhe genießen und sich nicht von der Panikmache von Suzanne, Beth und Gregory anstecken lassen.
Als Ivy die Treppe zu ihrem Musikzimmer hochstieg, flitzte Ella an ihr vorbei und sprang auf die Klavierbank.
Ivy lächelte. »Übst du auch für das Festival?«
Sie dachte an die Triolen, die Ella in der letzten Woche »gespielt« hatte, dann verdrängte sie den Gedanken -Ellas »Lied« würde sie nur wieder an Tristan erinnern.
Ivy machte ihre Aufwärmübungen, dann spielte sie
Philips Lieblingsmelodien, und schließlich wagte sie sich an Liebestraum. Sie war zufrieden mit ihrem Spiel, ihre Finger flogen über die Tasten und die lebhaften Akkorde rissen sie völlig mit.
Kurz bevor sie wieder zum Eröffnungsthema kam, hörte sie genau in dem Moment, als sie die Seite umschlug, ein Geräusch.
Sofort musste sie an zerbrochenes Glas denken. Sie bekam Gänsehaut, aber sie wehrte sich gegen ihre Angst. Berstendes Glas war ein Geräusch aus ihren Albträumen. Wenn wirklich jemand ins Haus einzudringen versuchte, brauchte er nur die Hintertür zu öffnen. Das Geräusch stammte also bestimmt nicht von einer eingeschlagenen Fensterscheibe. Wahrscheinlich war ein Ast aufs Haus gefallen oder unten war etwas umgestürzt.
Trotzdem hatte Ivy ein ungutes Gefühl. Sie sah sich im Zimmer um und stellte fest, dass Ella verschwunden war. Vielleicht hatte die Katze etwas umgeworfen. Das Beste war vermutlich, nachzusehen und sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. Ivy stellte sich oben an die Treppe und lauschte.
Sie glaubte, den Lärm aus dem Westflügel gehört zu haben, wo Andrews Arbeitszimmer lag. Vielleicht war es Andrew, der früher von seiner Sitzung kam und noch etwas aus dem Haus holen wollte.
Ivy schlich sich die Treppe zu ihrem Zimmer hinunter und blieb in der Tür zum Flur stehen. Wäre doch bloß Ella bei ihr gewesen! Die Katze hätte sie vor möglichen Gefahren warnen können, indem sie die Ohren aufstellte oder mit dem Schwanz zuckte.
Das Haus erschien Ivy plötzlich riesig, doppelt so groß wie in Wirklichkeit, voll möglicher Verstecke und meilenweit entfernt von allen, die sie schreien hören könnten. Ivy ging in ihr Zimmer zurück und griff nach dem Telefon, dann legte sie es jedoch wieder hin.
Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Du kannst die Polizei nicht grundlos den weiten Weg hierherkommen lassen.
»Andrew?«, rief sie. »Andrew, bist du das?«
Keine Antwort.
»Ella, komm her. Wo bist du, Ella?«
Das Haus war ohrenbetäubend still.
Ivy schlich auf Zehenspitzen auf den Flur und beschloss, lieber den Weg über die Haupttreppe als über die schmale Hintertreppe, die in den Westflügel führte, zu nehmen.
Im Erdgeschoss stand ein Telefon auf dem Flur. Falls sie feststellen sollte, dass etwas nicht stimmte, würde sie sofort von dort aus anrufen.
Am Fuß der Treppe schaute Ivy schnell nach links und rechts. Sollte sie einfach durch die Haustür nach draußen rennen?
Und was dann? Irgend jemanden alles mitnehmen lassen, was er wollte? Oder noch schlimmer, ihm Gelegenheit geben, sich irgendwo zu verstecken, wo er ihr auflauern konnte?
Jetzt geht aber deine Fantasie mit dir durch!, schalt sie sich.
In den Zimmern auf der Ostseite - im Wohnzimmer, der Bibliothek und dem Wintergarten - waren die Fensterläden noch geschlossen, um die Morgensonne abzuhalten. Ivy wandte sich in die andere Richtung und spähte um die Ecke in das Speisezimmer. Die knarrenden Dielen ließen sie kurz zusammenzucken, als sie den Raum durchquerte und schließlich die Tür zur Küche aufstieß. Gegenüber war die Tür, die sie abzuschließen vergessen hatte: noch immer geschlossen.
Nachdem Ivy noch schnell in zwei Schränke geschaut hatte, drehte
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