Loved by an Angel
Stimmen von Einkäufern auf der anderen Seite des Zentrums schwappten in leisen Wellen zu ihr herüber, erreichten sie jedoch nie wirklich.
Ivy schloss für einen Augenblick die Augen und genoss die Stille. Dann öffnete sie sie wieder und wandte schnell den Kopf, überrascht, weil sie von rechts deutlich drei Stimmen hörte. Eine davon kam ihr sehr bekannt vor.
»Es ist alles wie abgemacht«, sagte er.
»Ich werde es nachzählen.«
»Traust du mir etwa nicht?«
»Ich hab gesagt, ich werde es zählen. Reim’s dir zusammen, ob ich dir traue.«
In einem schwach beleuchteten Durchgang, der zum Parkhaus führte, unterhielten sich Gregory, Eric und eine dritte Person und bemerkten nicht, dass jemand zu hörte. Als die dritte Person ins Licht trat, traute Ivy kaum ihren Augen. Sie hatte diesen Typ schon vor der Schule stehen sehen und wusste, dass er Drogen verkaufte. Doch als sie sah, dass Gregory dem Dealer eine Tüte übergab, konnte sie vor allem nicht glauben, dass sie Gregorys andere Seite hatte vergessen können.
Wie hatte sie sich so eng auf einen Typen einlassen können, dessen Freunde reich und abgefuckt waren? Wie hatte sie sich auf jemanden verlassen können, der aus purer Langeweile dumme Risiken einging? Warum traute sie jemandem, der gefährliche Spielchen mit seinen Freunden spielte, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob dabei jemand Schaden nahm?
Tristan hatte sie einmal gewarnt, damals, vor dieser Nacht bei den Eisenbahnbrücken, vor der Nacht, in der Will um Haaresbreite getötet worden war. Doch Ivy hatte geglaubt, Gregory hätte sich seit damals geändert. In den letzten vier Wochen war er so ... Doch wie es aussah, hatte sie sich getäuscht.
Hastig stand sie von der Bank auf und bekleckerte sich dabei mit Cappuccino.
Tristan!, rief sie im Stillen. Hilf mir, Tristan! Hilf mir, einen klaren Kopf zu bewahren!
Sie rannte den Gang zum besser beleuchteten Teil des Einkaufszentrums hinunter. Als sie auf die Rolltreppe zueilte, rannte sie in Will.
Das Mädchen, mit dem er unterwegs war, fluchte leise. Sie hatte kastanienbraune Haare und Ivy kannte sie von Erics Party.
Will starrte Ivy an und sie starrte zurück. Sie hielt es kaum aus, wie er sie ansah, wie er sie mit seinen Augen in den Bann ziehen konnte.
»Was machst du denn hier?«, wollte Ivy wissen.
»Was geht dich das an?«, fragte das Mädchen schnippisch zurück.
Ivy überhörte den Kommentar. »Erzähl mir jetzt bloß nicht«, meinte sie zu Will, »dass du so ein Gefühl hattest, dass du bloß gedacht hast, dass du irgendwie gewusst hast...«
Sie sah ein Aufflackern in seinen Augen und wich seinem Blick schnell aus.
Das Mädchen verzog das Gesicht und sah Ivy an, als hätte diese den Verstand verloren, und Ivy kam es tatsächlich so vor. »Ich ... ich muss zurück in den Laden«, stieß sie hervor, doch Wills Augen zogen sie weiter in den Bann.
»Falls du mich brauchst«, erklärte Will, »ruf mich an.« Plötzlich drehte er kurz den Kopf, als hätte jemand hinter ihm etwas gesagt.
Ivy eilte an ihm vorbei, hechtete die Rolltreppe hinauf und rannte in den Laden.
»Oh je, Liebes!«, rief Lillian, als Ivy durch die Tür stürmte.
»Ach du meine Güte!«, stimmte Betty ein.
Ivy keuchte, weil sie erstens wütend war und zweitens außer Puste vom schnellen Laufen. Nun blieb sie stehen, um sich die Vorderseite ihres blassgrünen Kleides anzusehen. Inzwischen hatte es die Farbe von Schlamm.
»Das sollten wir sofort einweichen.«
»Nein, schon in Ordnung«, beruhigte Ivy sie und atmete tief und langsam ein und aus, um sich wieder zu beruhigen. »Ich reib das ein bisschen ab.« Sie ging zur Toilette im hinteren Teil des Ladens, aber Betty durchforstete bereits die Kostüme auf einer Stange und Lillian starrte gedankenverloren auf eine andere.
»Ich reib das nur ein bisschen ab«, wiederholte Ivy. »Ich bin gleich wieder da.«
Lillian und Betty summten vor sich hin.
»Es ist sowieso ein altes Kleid«, fügte Ivy hinzu.
Manchmal stellten sich die beiden alten Damen taub.
»Irgendwas Schlichtes«, bettelte Ivy schließlich. Letztes Mal hatte sie als Außerirdische geendet - Batterien hatten dafür gesorgt, dass sie zu allem Überfluss auch noch blinkte und piepste.
Die Schwestern hielten sich an ihre Bitte nach etwas Schlichtem und reichten ihr eine weiche weiße Bluse mit einem gerafften Ausschnitt, der die Schultern freigab, und einen bunt gemusterten Rock.
»Sie ist wirklich eine hübsche Zigeunerin!«, meinte Lillian zu
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