Loved by an Angel
Schnürsenkel war zugebunden. Seine Hände stellten sich ungeschickt an, als er auch den anderen zubinden wollte. Er konnte kaum aufstehen, schlich langsam unter Tristans Führung den Flur hinunter. Tristan entschied sich für die Haupttreppe, wo man sich am Geländer festhalten konnte. Sie schafften es sicher zum Fuß der Treppe, dann führte Tristan Philip zur Hintertür, die Gregory offen gelassen hatte. Tristan fühlte jede Sekunde, die verrann - es war, als hätte er eine innere Uhr, die quälend schnell vor sich hin tickte.
Zu Fuß würden sie es nie rechtzeitig schaffen! Die lange Auffahrt den Berg hinunter führte vom Bahnhof weg.
Schlüssel - wo waren die Schlüssel von Gregorys Wagen? Wenn Tristan sie fand, könnte er seine Finger Gestalt annehmen lassen - aber was, wenn Gregory sie mitgenommen hatte und er und Philip ihre Zeit mit der Schlüsselsuche nur vergeudeten?
»Andere Richtung, Philip.« Tristan lenkte Philip in die Gegenrichtung. Es war eine gefährliche Abkürzung, aber ihre einzige Chance: die steile, steinige Seite des Berges, an dessen Fuß der Bahnhof lag.
Nach ein paar Schritten weckte die kühle Nachtluft Philips Lebensgeister. Durch die Augen und Ohren des Jungen nahm Tristan die silbrigen Schatten der Nacht und die raschelnden Geräusche wahr. Auch er fühlte sich kräftiger. Auf Tristans Drängen hin fing Philip an, über den Rasen zu rennen. Sie rannten am Tennisplatz vorbei, dann weitere vierzig Meter bis zur Grundstücksgrenze, wo das Gelände plötzlich steil abfiel.
Weil sie mit vereinter Kraft sprinteten, kamen sie schneller voran, als es ein Kind allein geschafft hätte. Tristan wusste nicht, wie lange seine wiedererwachten Kräfte anhalten würden, und er wusste nicht, ob er sie beide heil den steilen Berghang hinunterbringen würde. Es schien schon ewig gedauert zu haben, allein so weit zu kommen.
Als er und Philip über die Steinmauer kletterten, die das Grundstück umgrenzte, fühlte Tristan einen Moment lang Philips Widerstand.
»Das darf ich nicht«, sagte Philip.
»Es ist schon in Ordnung, ich bin ja dabei.«
Tief unter ihnen konnte Tristan den Bahnhof erkennen. Um dorthin zu gelangen, müssten sie einen Abhang hinunterklettern, wo nur die Wurzeln von ein paar verkümmerten Bäumen und ein paar schmale Felsvorsprünge Halt boten, unter denen der Berg steil abfiel.
Gelegentlich wuchsen ein paar Büsche aus der steinigen Oberfläche, doch größtenteils war es zerklüftetes Erdreich mit Steingeröll, das sich lösen würde, sobald man mit dem Fuß dagegen stieß.
»Ich hab keine Angst«, sagte Philip.
»Da bin ich ja froh, dass das wenigstens einer von uns von sich behaupten kann.«
Sie tasteten sich langsam und sehr vorsichtig den Abhang hinunter. Der Mond war spät aufgegangen und warf lange Schatten, die sie durcheinanderbrachten. Tristan musste ständig aufpassen, daran zu denken, dass Philips Beine, mit denen er lief, kürzer waren als seine eigenen, und dass dessen Arme auch nicht so weit greifen konnten.
Sie waren halb den Berg hinunter, als er es vergaß. Sie sprangen nicht weit genug und kamen schwankend auf einem Felsvorsprung auf, unter dem es zehn Meter in die Tiefe ging. Sie würden auf den Steinen dort unten aufprallen! Schon taumelten sie. Doch dann zog sich Tristan in sich selbst zurück, behielt seine Gedanken und Impulse für sich und überließ Philip die Führung. Der Gleichgewichtssinn des kleinen Jungen rettete sie.
Während des Abstiegs versuchte Tristan, nicht an Ivy zu denken, auch wenn es ihn verfolgte, wie ihr Kopf schlaff wie der einer Puppe heruntergehangen hatte. Ihm war allzu bewusst, dass ihnen die Zeit davonlief.
»Was ist denn los?«, fragte Philip besorgt, als er Tristans Unruhe spürte.
»Lauf weiter. Ich erzähl’s dir später.«
Philip durfte nicht wissen, in welcher Gefahr Ivy schwebte. Also behielt Tristan bestimmte Gedanken für sich und verbarg vor Philip, dass Ivy in Gregorys Gewalt war und was der mit ihr vorhatte. Tristan war nicht sicher, wie Philip mit den Informationen umgehen würde: ob er wegen Ivy in Panik geraten würde oder Gregory möglicherweise sogar in Schutz nähme.
Endlich kamen sie am Fuß des Berges an, rannten durch hohes Gras und Unkraut und stolperten immer wieder über Felsbrocken. Philip verdrehte sich den Knöchel, lief aber trotzdem weiter. Schließlich tauchte vor ihnen ein hoher Maschendrahtzaun auf, durch den sie den Bahnhof erkennen konnten.
Der Bahnhof hatte nur zwei
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