Lovesong
wirklich hier bist.«
Ich denke an die einstweilige Verfügung, die sie die vergangenen drei Jahre gegen mich verhängt hatte und gegen die ich heute Abend das erste Mal verstoße. Aber du hast mich doch zu dir gerufen, würde ich am liebsten protestieren. »Tja, ich schätze, die lassen inzwischen jeden Penner in die Carnegie Hall rein«, witzle ich. Aber vor lauter Nervosität kommt der Witz wohl nicht ganz so locker rüber und erhält einen bitteren Beigeschmack.
Sie wischt sich die Hände an ihrer Kleidung ab. Ihr schwarzes Abendkleid hat sie bereits gegen einen langen, fließenden Rock und ein ärmelloses Top eingetauscht. Sie schüttelt den Kopf und sieht mir mit verschwörerischer Miene direkt ins Gesicht. »Nicht ganz. Punks haben keinen Zutritt. Hast du denn das Hinweisschild draußen nicht gesehen? Ich bin echt verblüfft, dass sie dich nicht festgenommen haben, als du die Lobby betreten hast.«
Mir ist klar, dass sie an meinen schlechten Witz anzuknüpfen versucht, und irgendwie bin ich ihr dafür dankbar, dankbar auch dafür, dass sie mir eine Kostprobe ihres früheren Sinns für Humor gewährt. Doch ein anderer Teil von mir, der finstere Teil meiner Persönlichkeit, will sie an all die Kammerkonzerte, Streichquartette und Konzertabende erinnern, die ich duldsam über mich ergehen ließ. Wegen ihr. Mit ihr. »Woher wusstest du, dass ich hier bin?«
»Du machst wohl Scherze? Adam Wilde in der Zankel Hall. Während der Pause hatte die Crew im Backstagebereich kein anderes Thema. Offensichtlich arbeiten eine ganze Menge Fans von Shooting Star in der Carnegie Hall.«
»Ich dachte, ich bin inkognito hier«, sage ich. Und blicke dabei auf ihre Füße. Dieses Gespräch überlebe ich nur, wenn ich mit Mias Sandalen rede. Ihre Zehennägel sind zartrosa lackiert.
»Du? Unmöglich«, erwidert sie. »Also, wie geht es dir?«
Wie es mir geht? Meinst du das ernst? Ich zwinge mich, sie anzusehen, und blicke Mia zum ersten Mal direkt in die Augen. Sie ist immer noch wunderschön. Nicht so offensichtlich wie Vanessa LeGrande oder Bryn Shraeder. Sondern eher auf eine zurückhaltende, unaufdringliche Art und Weise, die mich immer schon umgehauen hat. Ihr langes dunkles Haar trägt sie jetzt offen; feucht fließt es ihr über die nackten Schultern, die wie damals milchweiß sind und übersät von Sommersprossen, die ich immer so gern geküsst habe. Die Narbe an ihrer linken Schulter, die damals noch grellrot und wulstig war, ist inzwischen zu einem silbrigen Rosa verblasst. So, als wäre das der letzte Schrei in Sachen Tätowierungen. Irgendwie hübsch.
Mias Augen suchen die meinen, und einen kurzen Moment lang befürchte ich, meine Fassade könnte zu bröckeln beginnen. Ich wende den Blick ab.
»Ach, na ja, ganz gut. Ziemlich im Stress«, antworte ich.
»Klar, logisch. Im Stress. Bist du auf Tour?«
»Jep. Morgen geht’s nach London.«
»Oh, ich fliege morgen nach Japan.«
Entgegengesetzte Richtungen, denke ich und bin überrascht, als Mia genau diese Worte tatsächlich laut ausspricht. »Entgegengesetzte Richtungen.« Die Worte stehen unheilvoll zwischen uns. Plötzlich merke ich, wie der Strudel sich wieder zu drehen beginnt. Wenn ich nicht sofort von hier verschwinde, wird er uns beide verschlingen. »Na ja, ich sollte jetzt besser gehen«, höre ich diese Person, die vorgibt, Adam Wilde zu sein, mit absolut ruhiger Stimme aus der Ferne sagen.
Ich habe den Eindruck, es lege sich ein Schatten auf ihr Gesicht. Allerdings könnte ich es nicht mit Sicherheit sagen, denn jeder einzelne Millimeter meines Körpers ist nun in Wallung. Dafür aber könnte ich schwören, dass sich mein Inneres gleich hier und jetzt nach außen kehren wird. Doch während ich selbst völlig außer Kontrolle gerate, funktioniert dieser andere Adam immer noch einwandfrei. Nun hält er Mia gerade die Hand hin, obwohl der Gedanke daran, Mia Hall ganz förmlich die Hand zu schütteln, so ziemlich das Traurigste ist, was mir jemals in den Sinn hätte kommen können.
Mia sieht runter auf meine ausgestreckte Hand, öffnet den Mund, um etwas zu sagen, stößt dann aber nur ein Seufzen aus. Ihr Gesicht wirkt plötzlich wie versteinert, als sie schließlich ihrerseits die Hand ausstreckt und meine ergreift.
Das Zittern in meiner Hand ist für mich bereits so zur Normalität geworden, dass es mir meist schon gar nicht mehr auffällt. Doch sobald meine Finger sich um Mias schließen, bemerke ich, dass das Zittern sich legt und sie auf einmal
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